“Deutschland sucht den Superstar“ sorgte hierzulande wochenlang für Schlagzeilen. Noch mehr Aufruhr bringt die TV-Serie in die islamische Welt. Sie spaltet die Gesellschaft - Tabus und Konventionen stehen auf dem Spiel.

Für diesen Tag hat Gamilah, zu Deutsch "Die Schöne", alles riskiert. In einem kleinen Handspiegel prüft die bildhübsche Ägypterin noch einmal das Make-up, zieht mit zittrigen Fingern die Lippen nach, geht noch einmal über den Lidstrich. Ihr pechschwarzes, langes Haar glänzt im Scheinwerferlicht, sonst muss sie ihre Pracht unter einem Schleier verbergen. Es ist ihr Tag, ein großer Tag, ein Schritt auf dem Weg zum Superstar. Gleich wird sie vor den Kameras und vor der gnadenlosen Jury, den Bohlens des Orients, auftreten - in dem kleinen Studio des Fernsehsenders future TV in Beirut. "Mein Mann hat mir verboten, an der Show teilzunehmen. Wenn du dort auftrittst, verstoße ich dich, lasse ich mich scheiden", habe er gesagt, flüstert "die Schöne". Nervös ist sie, ein wenig aufgeregt. Minuten später ist der Traum vom Superstar geplatzt. Gamilah ist ausgeschieden, trotz ihrer Schönheit und trotz ihres Mutes. Doch die Frau eines Moslems strahlt: "Jetzt habe ich zweimal verloren, den Wettbewerb und meinen Mann. Aber zum ersten Mal in meinem Leben habe ich den Mut gehabt, das zu tun, was ich wollte. Das ist ein unglaublich schönes Gefühl!" Es ist mehr als nur ein Spiel, diese arabische Version von "Deutschland sucht den Superstar". Es ist die Hoffnung für Millionen Frauen in der arabischen Welt. Sie wollen endlich den Schleier überholter Traditionen herunterreißen, Selbstbewusstsein leben. Eine Karriere im Showgeschäft wäre für eine Frau in der arabischen Welt außergewöhnlich. "Ich war überrascht, geschockt, dass so viele Mädchen mitmachen." Nasser Fakih, der Regisseur der Show, kann kaum fassen, was er erlebt. "Sie kommen aus dem Irak, aus Kuweit, Libanon, Syrien, Ägypten, aus fast allen Ländern des Golf, sogar aus Saudi-Arabien. Manche singen verschleiert, andere treten nabelfrei auf - es ist einfach umwerfend, wie diese Frauen die Chance ergreifen!" Diese Frauen setzen ganz neue Maßstäbe im Orient. Sie lassen ihren Emotionen freien Lauf, setzen sich der harschen Kritik einer gnadenlosen Jury aus, produzieren sich in der Öffentlichkeit. Hier werden reihenweise Tabus und Konventionen gebrochen. Fast zehntausend junge Menschen reißen sich beim Casting um den Auftritt beim "Superstar", wollen sich wenigstens ein paar Minuten lang im Scheinwerferlicht drehen, einmal den Traum leben, ein Superstar zu sein. Auch wenn die ewig Gestrigen, die Fundamentalisten unter den religiösen Führern, schäumen. "Die Show ist das Werk des Teufels, das Tor zur Hölle", ereifert sich der Straßenhändler Safir al-Islam unter seinem Turban und bietet im Schatten der Moschee weiter Fächer mit Zitaten aus dem Koran feil. Doch der Aufstand der Frauen setzt ungebrochen seinen Siegeszug durch den Orient fort. 40 Prozent Einschaltquote erreicht die Show Tag für Tag vom Golf bis nach Mauretanien. Im Juni werden sie den ersten "Superstar" der arabischen Welt küren. Und fast alle hoffen, dass es eine Frau ist, die sich im Augenblick des Triumphes den Schleier vom Kopf reißt. (Winfried Schnurbus)