Berlin. Singer-Songwriterin Ela spricht im Interview über die Zeit nach ihrem Auftritt beim ESC 2014 und die Chancen für “Lord of the Lost“.

Die meisten kennen Ela von ihrem Auftritt beim Eurovision Song Contest 2014. Damals trat die wasserstoffblonde Künstlerin mit ihrer Band "Elaiza" für Deutschland im berühmten Musikwettbewerb an und belegte mit dem Song "Is It Right" den 18 Platz. Seitdem hat sich für die Singer-Songwriterin mit polnisch-ukrainischer Abstammung einiges geändert.

Inzwischen ist Ela solo unterwegs, veröffentlicht dieses Jahr bereits ihr zweites Album "Es ist immer jemand wach" und geht damit im Oktober auf große Deutschlandtournee. Wir haben die Musikerin gefragt, was sie antreibt, wie die Zeit nach dem ESC 2014 aussah und wie sie die Erfolgschancen des diesjährigen deutschen Acts "Lord of the Lost" einschätzt.

Ihr neues Album heißt „Es ist immer jemand wach“ und wird dieses Jahr veröffentlich. Viele der Songs behandeln textlich Krisen und schwere Zeiten. Basieren die Texte auf eigenen Erfahrungen?

Ela: Ich schreibe sehr viel mit anderen und für andere tolle Künstler*innen. Irgendwann habe ich für mich entschieden: Alles, was mit meiner eigenen Musik zu tun hat, alles, was ich für mich schreibe, sind persönliche Themen. Sachen, die ich erlebe, mich mitnehmen, die ich verarbeiten möchte. Es sind also eher persönliche Inhalte, die sich in meiner Musik wiederfinden.

Ist Musik dann auch auf eine Art wie Therapie?

Ela: Als meine Mama und ich damals, ich war siebeneinhalb Jahre alt, nach Deutschland gekommen sind, waren die Zeiten schon rough. Wir sind mit zwei Taschen in dieses Land gekommen und konnten die Sprache nicht wirklich. Ich musste als Kind schon viel verarbeiten. Mein leiblicher Vater ist früh gestorben. In der Grundschule war ich eine der wenigen Ausländer*innen. Ich habe nie in irgendwelche Schubladen gepasst. Das, was immer da war, war halt die Musik. Sie hat mir als Kind schon geholfen, die Dinge zu verarbeitet und zu reflektieren.

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Ela: Musik war für mich aber auch schon immer Integrationsmöglichkeit. Meine Grundschullehrerin hat damals mitbekommen, dass ich singen kann und für Musik sehr zu begeistern bin. Die hat mich dann in den Chor gesteckt. Innerhalb von einem halben Jahr habe ich dann Deutsch gelernt, weil ich wollte, dass die anderen Kiddies mich verstehen. Dann war ich so die Exotin, die singen kann.

Schreiben Sie Musik lieber für sich oder für andere?

Ela: Ich finde beides spannend. Ich finde es sehr schön, in einem Raum mit anderen Künstler*innen zu sein und ihre ganzen Infos in einen Song zu packen. Genauso mag ich es, mir Zeit für mich zu nehmen und an meinen Sachen zu schreiben. Ich lerne durch beides so viel. Für mich ist jeder Tag eine neue Challenge. Ich habe Bock zu wachsen, Dinge zu erfahren, zu lernen, musikalisch auch viel auszuprobieren. Deswegen bin ich auch in so vielen unterschiedlichen musikalischen Welten unterwegs. Meine Mama hat mir mal gesagt: „Um Musik zu verstehen, muss man auch offen für jegliche Art von Musik sein.“ Und das ist so ein schöner und großer Satz. Ich liebe es, mich Musik zu öffnen. Heute schreibe ich das, morgen das und übermorgen arbeite ich weiter an meinem Album.

Die Elaiza 2014 beim deutschen Vorentscheids Eurovision Song Contest 2014.
Die Elaiza 2014 beim deutschen Vorentscheids Eurovision Song Contest 2014. © imago/Future Image

Sie sagen von sich selbst, schonungslos ehrlich zu sein. Kann man mit schonungsloser Ehrlichkeit im Genre Deutsch-Pop Genre überhaupt Erfolg haben?

Ela: Wie definieren wir überhaupt Erfolg? Ich glaube, das ist super individuell. Ich kann gar nicht anders als ehrlich sein. Ich schreibe so, wie ich es gerade fühle. Großartig drumherum zu reden, mag ich nicht. Auf den Punkt kommen, geradeheraus sein – ich glaube, da haben wir alle mehr davon.

Sie gehen dieses Jahr noch auf Deutschlandtournee. Was dürfen sich Besucher von Ihren Konzerten erwarten?

Ela: Auf jeden Fall geballte Frauenpower (lacht). Nein, also ich habe ganz viele großartige Fans. Viele aus der LGBTQ+-Szene, was mich auch sehr, sehr freut. Am Ende soll es eine große Feier auf das Leben werden, auch unter dem Motto „Es ist immer jemand wach und niemand von uns ist allein“. Ich glaube nämlich – und deshalb war es mit auch wichtig, das Album so zu nennen – wir alle haben mal schwere Phasen und ich finde diesen Gedanken sehr schön, dass egal, wie spät oder früh, dass wir immer irgendjemanden erreichen können. Der Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das Album und die Tour. Ich wünsche mir ein großes Get-together mit vielen bunten Menschen und Musik.

Dieses Wochenende findet der Eurovision Song Contest statt. Sie sind 2014 mit dem Musikerinnentrio Elaiza für Deutschland angetreten. Wie haben Sie sich auf den Mega-Auftritt vorbereitet?

Ela: Wir sind ja eher unerwartet reingerutscht. So viel Zeit zum Vorbereiten hatten wir also gar nicht. Was man nicht vergessen darf: Es gibt nicht nur die Show, sondern es gehört sehr viel mehr dazu. Es ist wie eine große Überraschungstüte. Deshalb ist es so schwierig, sich darauf vorzubereiten. Rückblickend war das der schönste und schlimmste Moment meines Lebens, weil alles von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt wurde.

Inwiefern?

Ela: Als ich „Is it Right” geschrieben habe, war ich sehr jung. Ich war auch eine der ersten Künstlerinnen, die beim ESC mit einem eigenen Song aufgetreten sind. Der ESC ist ja in erster Linie ein KomponistInnenwettbewerb. Für mich und die Band war das alles echt eine Herausforderung. Man reist von Show zu Show, immer unterwegs, immer am Erzählen und Connecten. Das ganze Erlebnis ist eines der krassesten, was man – finde ich persönlich – als Künstler*in erleben darf.

Wie sah die Woche vor dem ESC konkret für Sie aus?

Ela: Wir hatten im Durchschnitt zwei bis drei Stunden Schlaf. Das muss man sich so vorstellen: Man steht morgens um vier auf, ist dann bis fünf in der Maske. Dann geht es direkt weiter in die Vorbereitung. Dann hat man die ganze Zeit Interviews und dann Proben.

Das klingt nach Chaos.

Ela: Es war ein riesiges Chaos. Wir mussten sehr kämpfen, dass wir unser Bühnenbild, wie wir es wollten, überhaupt bekommen haben. Denn beim ESC sind die Gastgeber für das Bühnenbild zuständig. Erst kurz vor dem Finale haben wir die letzten Dekoelemente für das Bühnenbild bekommen. Parallel dazu hat man die ganze Zeit mit der Presse zu tun. Wir mussten jede Pause zum Durchatmen erkämpfen, weil wir immer von Ort zu Ort rennen mussten, immer Presse da, Fotografen hier, Interview da. Alle sehen nur diese eine Show, aber es steckt natürlich viel mehr dahinter. Man sollte wirklich großen Respekt vor allen, wirklich allen Artists haben, die dort auf der Bühne stehen. Es erfordert sehr viel Arbeit. Es ist nicht so als würde sich einfach jemand auf die Bühne stellen, performen und Applaus genießen.

Ela beim ESC-Auftritt 2014 – inklusive Luftschlangen.
Ela beim ESC-Auftritt 2014 – inklusive Luftschlangen. © GettyImages / Ragnar Singsaas / Stringer

Spürt man Druck, Punkte einheimsen zu müssen?

Ela: Ich finde, man sollte alle Länder und diese großartige Diversität, die die verschiedenen Kulturen mitbringen, feiern. Den Druck, Punkte zu kriegen, sollte man da gar nicht haben. Viel besser ist der Gedanke, wie schön es ist, sein Land in dem Wettbewerb vertreten zu dürfen.

Ela: Wie gesagt: Der ist ESC ist ja eigentlich ein Komponist*innenwettbewerb. Da kann man die Leute in seine eigenen musikalischen Welten mitnehmen. Ich finde, darum sollte es eigentlich gehen. Musik ist so unterschiedlich. Man kann einen Song fünf Personen vorspielen und jeder oder jede von ihnen hat einen komplett anderen Geschmack und eine andere Meinung dazu. Was ich aber sehr schön finde, ist die Entwicklung in den letzten Jahren, dass immer mehr Künstlerinnen auf ihrer Muttersprache singen. Die Inszenierungen werden auch immer kunstvoller. Das ist sehr spannend, zu beobachten.

Circa 200 Millionen Menschen verfolgen live den ESC. Kriegt man da als Künstler oder Künstlerin die Flatter?

Ela: Man freut sich eigentlich eher, dass man die Ehre hat, auf einer riesigen Bühne und vor so einem großen Publikum seinen Song performen zu können. Wir als Band haben vorher in kleinen Cafés gespielt. Bei unserem ersten Konzert in einem kleinen Club hat sich die Kontrabassistin ausgesperrt und wir haben Kohle gesammelt für einen Schlüsseldienst. Das muss man sich mal vorstellen.

Ela: Für mich war das, vor allem als Songwriterin, ein unglaublicher Türöffner und eine riesige Chance. Wenn ich mal überlege, als ich sechzehn war, wollte keiner so richtig mit mir Songs schreiben, weil ich noch zu jung war und zu unerfahren. Und plötzlich kommt der ESC und ich werde international als weibliche Songwriterin wahrgenommen.

Das heißt, es war trotz „nur“ Platz 18 ein Karrieresprung?

Ela: Ja, natürlich. Übrigens: wenn man jetzt die letzten zehn Jahre vergleicht, gehören wir zu den Top drei, die es geschafft haben, ins Mittelfeld zu kommen – für Deutschland (lacht). So schlecht finde ich das gar nicht mal. Aber wie gesagt, Platzierungen kann man so oder so sehen. Es geht einfach eher um das Erlebnis und um die Show.

Wie ging es danach weiter?

Ela: Wir sind direkt aus Kopenhagen zurückgekommen und haben super viel live gespielt. Waren viel in Europa unterwegs, haben auch in Afrika gespielt, sehr viel Musik gemacht und ein zweites Album rausgebracht.

Das klingt anstrengend.

Ela: Ja. Diese Zeit macht natürlich auch was mit einem. Wenn man plötzlich nonstop kein richtiges „Zuhause“ mehr hat und sich das ganze Leben ändert. Als Band haben wir deshalb irgendwann entschieden, eine Pause zu machen. Mir boten sich danach sehr viele neue Möglichkeiten. Ich wurde von vielen Künstler*innen zur Zusammenarbeit angefragt. Ich habe dann immer mehr auf Deutsch geschrieben und hatte dann auch Bock, ein eigenes Album rauszubringen. Am Valentinstag 2020 habe ich mein Debütalbum als Solokünstlerin rausgebracht, „Liebe und Krieg“, mit wirklich tollem Support. Jetzt kommt das zweite Album im August.

„Lord of the Lost“ tritt dieses Jahr für Deutschland beim ESC an. Sie kennen die Band gut und haben schon mit ihnen Musik gemacht. Was denken Sie, wie die Chance für Deutschland stehen?

Ela: Der ESC ist immer eine Wundertüte. Man kann das nicht vorhersagen, es ist einfach so. Die Jungs kämpfen schon sehr lange darum, gehört zu werden. Dass sie jetzt so eine großartige Plattform kriegen, ist mehr als verdient. In ihrer Musik stecken so viel Arbeit, Liebe und Herzblut. Ich wünsche mir, dass sie es bis ganz weit nach vorne schaffen.

Punkte wollen Sie nicht prognostizieren?

Ela: Nein, will und kann ich nicht.

Lord of the Lost tritt dieses Jahr für Deutschland an.
Lord of the Lost tritt dieses Jahr für Deutschland an. © Getty Images / Pool

Sie haben polnisch-ukrainische Wurzel. Wen feuern Sie denn am meisten an in diesem Jahr: Polen, die Ukraine oder Deutschland?

Ela: Ich bin mit allen drei Kulturen aufgewachsen. Deswegen drücke ich allen die Daumen. Als die Ukraine letztes Jahr gewonnen hat, war das für mich natürlich auch ein politisches Statement. Für viele Menschen war und ist das wichtig. Aber ich freue mich für alle, die am Start sind und die das erleben dürfen. Ich bin gespannt, wie es dieses Jahr so wird.

Wie werden Sie den ESC 2023 verfolgen?

Ela: Meistens läuft es darauf hinaus, dass ich den ESC gemeinsam mit vielen Freunde schaue. Ich gucke den ESC auch super gerne mit meiner Mama. Da sie aber im Saarland ist und ich in Berlin kommunizieren wir während der Show über‘s Handy. Da wird fleißig diskutiert und kommentiert – wie beim Livetickern.

Liebe Ela, vielen Dank für das Gespräch.