Berlin . Die Schauspielerin Nora Tschirner stützt viele Vorwürfe, die gegen Kinostar Til Schweiger erhoben werden. Ist er am Filmset ein Tyrann?

Im deutschen Kino ist er ein Star, ohne Zweifel ein Aushängeschild, auch international: Til Schweiger, Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor, Synchronsprecher, Produzent. Er hat das Image, ein raubeiniger, aber "feiner Kerl“ zu sein. Doch die Rolle, die ihm der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe zuweist, gehört in ein Charakterfach, das wenig schmeichelhaft ist: die eines tyrannischen Chefs. Überschrift: "Sie nennen ihn den Imperator."

Es ist eine delikate, überaus heikle Geschichte, weil die Vorwürfe einerseits anonym erhoben werden, andererseits mit Nora Tschirner eine Darstellerin im Stile einer Kronzeugin an die Öffentlichkeit gegangen ist – und sie tendenziell bestätigt hat.

Vorwürfe gegen Schweiger: Tschirner sagt, dass im Artikel sehr viel stimme

"Ich finde, dass in diesem Artikel sehr viel stimmt“, sagt Nora Tschirner in einem Video auf Instagram. Sie sollte es wissen. Schließlich spielte die Schauspielerin gleich in zwei von Til Schweigers Erfolgsstreifen: „Keinohrhasen“ (2007) und „Zweiohrkücken“ (2009) mit.

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Bevor der Artikel erschienen ist, wies eine Anwältin des Schauspielers die Vorwürfe großteils zurück. Ein Teil der "Sachverhalte“ sei ihrem Mandanten "nicht bekannt“. Ein anderer Teil unterstelle "angebliche Sachverhalte, die es nicht gegeben hat“. Constantin Film, mit dem Schweiger zusammenarbeitet, schlug in die gleiche Kerbe und bezeichnete die Anwürfe als "überwiegend unvollständig und verzerrend, teilweise auch wiederum schlicht falsch".

Schweiger schweigt und lässt Anfragen unbeantwortet

Seit die Vorwürfe publik geworden sind, ließ sein Management Nachfragen weiterer Medienunternehmen unbeantwortet, auch von unserer Redaktion. Schweiger macht seinem Namen alle Ehre: Er hält still. Keine ungeschickte Vorgehensweise an einem langen Wochenende: Gras über die Sache wachsen lassen.

Frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Filmpartner erheben im "Spiegel" schwere Vorwürfe: Schikane, rüpelhaftes Verhalten am Filmset, toxische Arbeitsbedingungen.

Schweiger soll einen verletzenden Umgang pflegen, in mindestens einem Fall: buchstäblich. Bei den Dreharbeiten zu "Manta Manta – Zwoter Teil“ im Sommer 2022 habe die Crew bei Auskunft des Stars über Funk gewarnt, Schweiger sei so betrunken, dass man ihm aus dem Weg gehen, ihm besser nicht mal in die Augen schauen solle. Einem Mitarbeiter der Produktionsfirma Constantin, der ihn zur Rede stellte, soll er ins Gesicht geschlagen haben.

Der "Spiegel" beruft sich auf mehr als 50 Filmschaffende

Gibt es eine dunkle Seite, die Schweiger bisher vor seinen Fans verborgen hielt? Oder ist er Opfer einer Rufmordkampagne? Die beste Aufklärung könnte der Schauspieler selbst leisten. Dazu müsste er sich erst mal äußern.

Der "Spiegel" behauptet, dass seine Autoren mit mehr als 50 Filmschaffenden über Schweiger gesprochen haben. Wenn es juristisch hart auf hart kommt, Wort gegen Wort steht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass einige von ihnen aus dem Schatten der Anonymität heraustreten und Farbe bekennen werden.

Angeblich seien die "Zustände" bei Schweiger ein "offenes Geheimnis"

Branchenintern sei es seit Jahrzehnten "ein absolut offenes Geheimnis, dass diese Zustände herrschen“, so Tschirner. Sie jedenfalls will nicht länger schweigen. "Sehr sehr viele Leute haben sich dem ‚Spiegel‘ anvertraut und über Zustände der Filmindustrie gesprochen, die von den Verantwortlichen als null und nichtig erklärt werden. Ich muss sagen: Ich habe da keinen Bock mehr drauf.“

Tschirner stört sich an der (falschen?) Solidarität der Filmbranche mit dem 59 Jahre alten Star. "Damit ignoriert man auch den Mut der Leute, die Angst haben, ihren Namen zu nennen, die es sich nicht leisten können, ein Fass aufzumachen. Da mache ich nicht mehr mit.“

Das Sittengemälde einer Branche, die Machtmissbrauch ignorieren will?

Mit dem Pulsschlag eines Kolibris habe sie den Artikel gelesen. Der Grund für den hohen Pulsschlag: Die dort geschilderten Zustände in der Filmindustrie, "die von den Verantwortlichen als null und nichtig erklärt werden", stimmten teils. "Wenn man sowas hört und noch nicht mal sagt: 'Wir gucken uns das mal genauer an, wir gehen der Sache mal auf den Grund', sondern sagt: 'Nee, ist alles cool', und damit auch den Mut ignoriert der Leute, die sich das eben in ihren Positionen eigentlich überhaupt nicht leisten können, die ja Angst haben ihren Namen zu sagen, und sich das nicht leisten können, da ein Fass aufzumachen – also das ist echt höhnisch."

Da mache sie nicht mehr mit. "Wenn wir uns jetzt nicht mal die Karten legen als Industrie, was Arbeitsschutz angeht, dann müssen wir uns halt irgendwann fragen, auf welcher Seite wir so gestanden haben, was die ganze Geschichte angeht." Details nennt Tschirner nicht. Dass sie bestimmte "Zustände" in der Filmbranche beklagt, heißt nicht, dass alles richtig, jeder Vorwurf zutreffend und belegt sei. Aber es eröffnet den Blick auf ein Sittengemälde.

Man kennt toxische Arbeitsbedingungen und gnadenlose Führungsfiguren, aus dem Plot hat Hollywood mal mit "Der Teufel trägt Prada" eine köstliche Komödie gemacht. Im aktuellen Fall geht es nicht um einen Chef, der nicht 100, sondern 1000 Prozent aus seinen Mitarbeitern herausholen will, sondern um Machtmissbrauch. "Im Grundgesetz heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar", fasst eine Kollegin Schweigers mutmaßliches Verhalten zusammen. "Nicht an den Sets von Til Schweiger."