Berlin. Die Pannenserie hält an: Innerhalb weniger Tage entkommen neun Häftlinge aus dem Berliner Gefängnis

Die einen kletterten aus dem Fenster, die anderen schlugen mit einem Hammer einfach den Beton zu Bruch: In nicht einmal einer Woche sind neun Häftlinge aus dem Berliner Gefängnis Plötzensee geflohen. Die spektakuläre Ausbruchsserie der letzten Tage nimmt kein Ende.

Am Neujahrstag hatten zwei Männer in einer Nachbarzelle ein Fenstergitter aus der Verankerung gerissen und konnten so entkommen. Ein absurder Vorgang – nicht nur, weil Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) vorher angekündigt hatte, die Sicherheitsvorkehrungen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee mit ihren 360 Insassen überprüfen zu lassen. Die beiden Ausreißer verbüßten wegen wiederholten Schwarzfahrens eine Strafe im sogenannten offenen Vollzug, sie durften das Gefängnis also tagsüber verlassen. Trotzdem steckten sie viel Energie in ihren Ausbruch. „Dabei hätten sie das Gefängnis auch einfach am nächsten Morgen durch die Tür verlassen können“, wundert sich sogar ein Sprecher der Senatsjustizverwaltung der Hauptstadt.

Am Dienstagnachmittag räumte Behrendt ein, dass sogar noch mehr Häftlinge aus der JVA entwichen sind als bis dahin bekannt: Auch am Sonnabend sowie am Sonntag ist je ein Häftling aus dem offenen Vollzug nicht zurückgekehrt – insgesamt sind in den letzten Tagen fünf Männer allein während des Freigangs geflohen. Das passiert zwar öfter mal und ist streng genommen auch kein Ausbruch. Doch nachdem schon am 28. Dezember vier Gefangenen eine filmreife Flucht gelungen war, zweifeln immer mehr Experten an der Sicherheit des Gefängnisses.

Das Quartett – zwischen 27 und 38 Jahre alt – arbeitete in einer Werkstatt. Von dort gelangten die Männer in einen Heizungsraum, der eigentlich abgeschlossen sein sollte. Mit einem Hammer zertrümmerten sie einen Betonpfosten zwischen Lüftungsschlitzen. Dann zersägten sie die Stahlträger unter dem Beton mit einem Trennschleifer, der einem Insassen für die Arbeit an einem Auto ausgehändigt worden war. So hatten sie Zugang zu einer schmalen Öffnung, durch die sie sich ins Freie zwängten. Schließlich krochen sie unter dem mit Stacheldraht gesicherten Außenzaun durch. Eine Kamera filmte die Aktion zwar. Trotzdem lösten die Wärter erst später Alarm aus.

Der Beginn einer Pannenserie in der JVA Plötzensee – in den folgenden Tagen verschwanden weitere Häftlinge. Zwei haben sich aber mittlerweile wieder gestellt, sieben sind noch auf der Flucht. Die Ausbrecher sind keine Schwerkriminellen, sondern saßen wegen Diebstahl, räuberischer Erpressung und schwerer Körperverletzung ein. Mörder, Vergewaltiger und Serientäter werden in der JVA Plötzensee nicht untergebracht. Bislang galten die sechs Berliner Gefängnisse angesichts von mehr als 4000 Häftlingen und seltenen Ausbrüchen als sicher. Jedoch: Viele der oft mehr als hundert Jahre alten Gebäude haben jedoch unübersichtliche Ecken und andere Probleme. Justizsenator Behrendt gibt zu: „Sie würden so heute nicht mehr gebaut.“

Im Strafvollzugfehlt es an Personal

Der 46-Jährige, erst seit einem Jahr im Amt, gerät nun unter Beschuss. „Sogenannte innere Sicherheitsrunden werden in den verschiedenen Anstalten gar nicht mehr gelaufen“, kritisiert Thomas Goiny vom Bund der Strafvollzugsbediensteten im RBB mit Blick auf die Personalsituation. Berliner Oppositionspolitiker sprechen hämisch vom Gefängnis Plötzensee als „Haus der offenen Tür“. Neben Ausbrüchen haben Gefängnisse mit weiteren Problemen zu kämpfen: Gewalt und Erpressung sowie der ständigen Präsenz von Drogen. Besucher, Anwälte und bestochene Wärter schmuggeln immer wieder Drogen aller Art in die Anstalten.

Die Ausbrecher haben kaum ernsthafte Konsequenzen zu befürchten. Die Flucht aus einem Gefängnis ist in Deutschland nicht strafbar – die Gesetzgeber tragen so dem natürlichen Freiheitsdrang des Menschen Rechnung. Sollten sie gefasst werden, verlieren sie lediglich Privilegien wie den offenen Vollzug oder einen guten Arbeitsplatz auf dem JVA-Gelände.