Berlin/Oldenburg . Staatsanwaltschaft Oldenburg schreibt Niels H. weitere Todesopfer zu

Das Grauen erreicht seinen vorläufigen Höhepunkt mit der Zahl 106. Mindestens 106 Menschen hat der ehemalige Krankenpfleger Niels H. getötet. Das ist das Ergebnis aller toxikologischen Untersuchungen, wie die Staatsanwaltschaft Oldenburg mitteilte. Bereits im August war von 84 Todesopfern die Rede gewesen, 41 Verdachtsfälle hatten noch weiter untersucht werden müssen.

Die Staatsanwaltschaft macht den Mann, der als schlimmster Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte gilt, für 62 Sterbefälle am Klinikum Delmenhorst verantwortlich, wo er von 2002 bis 2005 arbeitete. Dazu kommen die sechs Taten, für die er in früheren Prozessen bereits verurteilt worden war. 38 Menschen soll H. zudem am Klinikum Oldenburg getötet haben, seinem Arbeitgeber von 1999 bis 2001.

Der ehemalige Krankenpfleger flog 2005 auf, als eine Krankenschwester im Klinikum Delmenhorst ihn dabei erwischte, wie er einem Patienten ein Mittel verabreichen wollte, das nicht für diesen bestimmt war. Das ganze Ausmaß kam erst nach und nach ans Licht. Immer wieder spritzte H. Patienten Medikamente, die einen Herzstillstand oder Kammerflimmern auslösten. Er konnte dann mit seinen Wiederbelebungsfähigkeiten glänzen. Wenn es nicht schiefging.

Hätten die Morde verhindert werden können? Gegen sechs Mitarbeiter der Klinik in Delmenhorst wurde Anklage wegen Totschlags durch Unterlassen erhoben. Ermittler sprechen von „Wegschauen“.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte ein deutschlandweites Alarmsystem: „Denn Morde wie in Delmenhorst und Oldenburg können überall vorkommen“, sagte Brysch. Nur in wenigen der bundesweit rund 2000 Kliniken gebe es anonyme Whistleblower-Systeme. Ein umfassendes Alarmsystem müsse eine lückenlose Kontrolle der Medikamentenausgabe auch in Pflegeheimen, eine intelligente Sterbestatistik für jede Abteilung umfassen.

Im Fall Niels H. wurden insgesamt 134 Leichen auf 67 Friedhöfen exhumiert, um sie auf eines der Medikamente zu überprüfen, die H. für seine Taten benutzte. 130 mutmaßliche weitere Todesopfer waren eingeäschert worden – sie konnten nicht mehr untersucht werden. Was den 1976 in Wilhelmshaven geborenen Niels H., der offenbar ein normaler Schüler und anfangs ein beliebter Arbeitskollege war, zum Serienmörder werden ließ? Gutachter Konstantin Karyofilis beschrieb H. als Menschen mit zwanghaft paranoider Persönlichkeitsstörung. Er veränderte sich. Hatte Panikattacken, war depressiv und alkoholabhängig. Patienten nahm er nicht als Individuen wahr. Sie wiederzubeleben sei wie eine Droge gewesen, sagte Karyofilis der Ärztezeitung.