Berlin.

Niemand verkörpert das absurde Wettrennen um die Weltspitze besser als Adrian Smith (72). Der Stararchitekt aus Chicago ist ein Rekordhalter, seit er das höchste Gebäude des Planeten gebaut hat: 830 Meter hoch ragt der Burj Khalifa in den Himmel von Dubai. Erst vor sieben Jahren wurde der Luxus-Wolkenkratzer mit 900 Wohnungen eröffnet, doch schon in zwei Jahren wird sich Smith seine eigene Bestmarke abjagen. Denn im benachbarten Saudi-Arabien baut er derzeit den Kingdom Tower – einen gigantischen Turm aus Stahl und Glas, 1007 Meter hoch. Smith will das erste Gebäude errichten, das die magische Höhengrenze von einem Kilometer packt. Geplante Fertigstellung: spätestens 2020. Die Jagd nach neuen Rekorden erreicht immer extremere Dimensionen.

Der Kingdom Tower soll die
Macht der saudischen Königsfamilie demonstrieren. Jährlich 2,5 Millionen muslimische Pilger, so malen es sich die Herrscher aus, werden künftig auf dem Weg zum heiligen Wallfahrtsort Mekka schon beim Landeanflug auf den König-Abd-al-Aziz-Flughafen vom Reichtum Saudi-Arabiens überwältigt werden. Der Turm wird ein 200-Zimmer-Hotel, viele Büros und 481 Luxuswohnungen beherbergen. Von der Aussichtsplattform in 502 Meter Höhe soll der Blick bis nach Afrika reichen.

Der Kingdom Tower ist nur eines von vielen Prestigeprojekten. Die Welt erlebt einen beispiellosen Hochhausboom. 110 Wolkenkratzer mit über 200 Metern sind letztes Jahr weltweit fertiggestellt worden, berichtet das Expertenbüro Council on Tall Buildings and Urban Habitat (CTBUH) – so viele wie nie zuvor. Vor allem in Asien entstehen Stadtviertel, die die Skyline von Manhattan mühelos in den Schatten stellen. Allein in China entstanden 2016 laut CTBUH 85 Wolkenkratzer. Frankfurt am Main, die deutsche Stadt mit den meisten Hochhäusern, versinkt derweil in der Bedeutungslosigkeit. „Putzig“ wirke die Silhouette im internationalen Vergleich, findet Peter Cachola Schmal, der Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt. Sogar den Titel „höchstes Bürogebäude Europas“ ist die Stadt längst los: Der Commerzbank-Turm ist mit 259 Metern nicht mehr konkurrenzfähig. Europas Nummer eins ist „The Shard“, ein Hochhaus mit 310 Metern im Londoner Stadtteil Southwark.

Ein Ende des Boomsist nicht in Sicht

Planer reagieren mit vertikaler Stadtentwicklung auf die gerade in Asien und im Orient zu beobachtende Landflucht und explodierende Immobilienpreise. Viele aufstrebende Städte können nicht in die Breite wachsen, sagt Mounid Hammoud, der Geschäftsführer des Kingdom-Tower-Projektträgers. Deshalb entstehen rund um den Wolkenkratzer in Saudi-Arabien weitere Hochhäuser, die Touristen in die Geschäfte und Hotels locken sollen.

Architektonisch jedoch ist der Höhenrausch umstritten. Der Düsseldorfer Baufachmann Christoph Ingenhoven (57) hat selbst weltweit Hochhäuser gebaut. Trotzdem meldet er sich in Interviews als Kritiker zu Wort und warnt vor Investitionsruinen: „In 600 Meter Höhe möchte niemand mehr wohnen.“ Gebäude solcher Höhe seien wie vertikale Städte, „für die es keine erprobten Lösungen gibt“. Bauherren gehe es vor allem ums Prestige, kritisiert Ingenhoven. Die Lässigkeit, mit der in China Wolkenkratzer gebaut würden, sei „schon eindrucksvoll. Aber oft wird nicht an die Folgekosten gedacht. So ist zum Beispiel die Luft in Shanghai enorm salzhaltig, dazu kommt noch eine deutliche Luftverschmutzung durch Abgase.“

Ein Ende des globalen Booms ist nicht abzusehen. Adrian Smith, der Architekt des Burj Khalifa und des Kingdom Towers, hält Gebäude von bis zu einer Meile Höhe (etwa 1,6 Kilometer) technisch für unproblematisch. Tatsächlich wird Smith sich nicht lange daran erfreuen können, das höchste Gebäude gebaut zu haben: Basra, eine wegen ihres Ölreichtums schnell wachsende Industriestadt im Süden des Iraks, bereitet schon einen Wolkenkratzer der Superlative vor, der sogar den Kingdom Tower noch einmal um 152 Meter überragen wird. Einen Termin für den Baustart gibt es zwar noch nicht. Doch die Planer schwärmen bereits von einer Stadt im Himmel mit einem eigenen Bahnnetz.