Frankfurt/M. Gericht kippt umstrittenen Freispruch für bekennenden Schwarzfahrer – er ist der Kopf einer Bewegung

Jörg Bergstedt hat den Nahverkehrsunternehmen den Kampf angesagt. Seit Jahren setzt er sich mit umstrittenen Mitteln für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens ein – sein Plan: Wenn er in Bussen und Bahnen ganz offen einen Anstecker mit der Aufschrift „Ich fahre umsonst“ trägt, macht er sich nicht wegen Beförderungserschleichung strafbar. Seine Argumentation findet bundesweit Unterstützer, auch Juristen schlugen sich schon auf Bergstedts Seite. Doch nun hat das Oberlandesgericht Frankfurt ihm und der „Umsonstfahrer-Bewegung“ einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. So einfach gehe es nicht, meinen die Richter.

Das Urteil ist der vorläufige Endpunkt einer lange schwelenden Geschichte. Sie begann im Juni 2013, als Bergstedt (52) in der Nähe von Köln zweimal in eine S-Bahn stieg, ohne eine Karte gelöst zu haben. Der Fahrpreis betrug jeweils 6,20 Euro. Die Bahn erwischte ihn und zeigte den Hessen an – trotz seines „Ich fahre umsonst“-Schildchens. Schuldig oder nicht? Diese Frage beschäftigt seitdem die Richter. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Gießen Bergstedt zu einer Geldstrafe verurteilt. Später, in der Berufungsverhandlung, sprach ihn das Landgericht frei, weil er sich die Fahrt durch das offene Tragen des Ansteckers eben nicht erschlichen habe. Die Lokalpresse schrieb damals von einem „kleinen Stück Rechtsgeschichte“: Dem Urteil lag die Auffassung zugrunde, dass der aus dem Jahr 1935 stammende Strafrechtsparagraf 265a (Beförderungserschleichung) nicht mehr zeitgemäß sei. „Früher, als man ohne Ticket gar nicht zum Bahnsteig kam, musste man zum Erschleichen der Leistung aktiv etwas beitragen“, sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht. Heute dagegen werde kaum noch kontrolliert. Nun die erneute Wende. Das Oberlandesgericht hob den Freispruch auf. Nach Auffassung der OLG-Richter ließ das scheckkartengroße Schild die Erschleichung nicht entfallen: Die Jacke mit dem Anstecker habe während der Fahrt beispielsweise auf dem Schoß des Mannes gelegen und sei dadurch nicht durchgängig sichtbar gewesen. Auch beim Betreten der Bahn sei nicht sichergestellt worden, dass das Schild erkennbar war. Deshalb habe Bergstedt eben doch den Anschein erweckt, ordnungsgemäß die Bahn zu benutzen. Er muss sich deshalb in absehbarer Zeit erneut vor dem Landgericht Gießen wegen Beförderungserschleichung verantworten.

Bewegung fordertMobilität zum Nulltarif

Der Prozess erregt Aufsehen, weil Bergstedt stellvertretend für eine soziale Bewegung steht, die den Nahverkehr zum Nullpreis fordert. Geld dafür zu verlangen, sei ungerecht, argumentiert Bergstedt. Es gehe um die Teilhabe sozial Schwacher am gesellschaftlichen Leben. Auch aus umweltpolitischen Gründen sei es notwendig, den Nahverkehr zu stärken. Bergstedt gehört seit Jahren zu den führenden Köpfen der „Umsonstfahrer-Bewegung“, er bezeichnet sich als politischen Aktivisten.

Schwarzfahrer, die so argumentieren wie Bergstedt, beschäftigen immer wieder die Gerichte. Die Nahverkehrsunternehmen kritisieren das Vorgehen. „Das ist eine kleine Gruppe, die populistisch versucht, auf sich aufmerksam zu machen“, sagte Lars Wagner, Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). „Genauso gut könnte jemand kommen und sagen: Ich will Tiere sehen, wann ich will und bezahle keinen Eintritt mehr im Zoo.“ Nach Angaben des VDV entsteht den Unternehmen durch Schwarzfahrer ein Einnahmeverlust von 250 Millionen Euro im Jahr. Das sogenannte „erhöhte Beförderungsentgelt“ wurde erst 2015 von 40 auf 60 Euro erhöht. Wagner zeigte sich zufrieden mit dem Frankfurter Urteil. „Mobilität ist eine Dienstleistung, die eben kostet – für das Personal, das Fahrzeug und den Diesel.“

VDV-Sprecher Wagner zeigte sich offen für eine politische Diskussion über die Zukunft des Nahverkehrs. „Aber solange es Recht und Gesetz gibt, muss man sich daran halten.“ Jörg Bergstedt machte indes deutlich, dass er sich von dem Urteil nicht unterkriegen lassen will. Mittlerweile, sagte er, belasse er es nicht mehr bei einem Schild, sondern verteile in öffentlichen Verkehrsmitteln auch Flugblätter und benutze ein Megafon.