Braunschweig. Historiker durften erstmals Akten des Adelshauses der Nazi-Zeit erforschen – Erbprinz Ernst August ermöglichte Einsicht

Die Erkenntnisse sind schmerzhaft. Vor zwei Jahren legte eine NDR-Reportage die Verstrickungen der Welfen in die „Arisierungen“ jüdischer Betriebe während der Nazi-Zeit offen. Drei große Fälle wurden damals recherchiert, die bewiesen, dass sich das ehemalige braunschweigische Herrscherhaus an den Notverkäufen jüdischer Geschäftsleute bereicherte.

Die Historikerin Cornelia Rauh von der Universität Hannover konnte nun mit ihrem Team nachweisen, dass es sich um neun Fälle handelte. Außerdem, so eine weitere Erkenntnis, wurden in dem 1939 von Ex-Herzog Ernst August von Hannover gegründeten Rüstungsbetrieb im österreichischen Wels immer mehr Zwangsarbeiter eingesetzt.

Möglich wurden die weiterreichenden Forschungen, weil der heute 33-jährige Urenkel Ernst August vor einem Jahr das Familienarchiv der Welfen zur wissenschaftlichen Bearbeitung dem niedersächsischen Landesarchiv zur Verfügung gestellt hatte. Er war offensichtlich von dem Film so betroffen, dass er diesen von Historikern lange verlangten Schritt realisierte. Noch sein Vater, der gleichfalls den Namen Ernst August trägt und mit Prinzessin Caroline von Monaco verheiratet ist, hatte es stets bei Ankündigungen belassen.

Der junge Ernst August, der in New York studiert und in London im Bankwesen gearbeitet hat, wohnt und wirtschaftet auf der Marienburg bei Hildesheim. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur äußerte er sich zur Archivöffnung: „Meines Erachtens muss sich jede Familie – insbesondere diejenigen, die in dieser Zeit Unternehmen geführt haben oder Teil des öffentlichen Lebens waren – ihrer NS-Geschichte stellen.“

Schon im NDR-Film waren 2014 die Fälle des Bankhauses Aufhäuser in München, der Bau-AG Porr und des Talkumwerks von Lothar Elbogen in Wien geschildert worden. Besonders im Fall Elbogen hatte Ernst August massiv Druck ausgeübt. Elbogen hatte bereits einen Kaufinteressenten zu einem fairen Preis, bis sich die NS-Bürokratie einschaltete. Er kam ins Gefängnis, wurde gequält, bis er Ernst Augusts Angebot annahm, das nur die Hälfte des tatsächlichen Werts der Firma betrug.

Kein Wunder, dass der Ex-Herzog für die flehenden Briefe von Elbogens Mutter kein Mitleid zeigte. „Mein Sohn, Dr. Lothar Elbogen, dessen Firma Sie, königliche Hoheit arisieren, befindet sich nun seit einem Jahr in Haft“, schreibt sie. „Ich bitte Sie, flehentlichst, königliche Hoheit, geben Sie mir mein Kind wieder.“ Bislang gebe es bei der Auswertung der 3200 Akten keine konkreten Hinweise auf eine NSDAP-Mitgliedschaft oder sonstige politische Führungsrolle des Welfen-Oberhaupts, so die Forscher.

Tatsächlich aber bekannte sich das Paar ab 1933 ausdrücklich zu den neuen Machthabern. Und im Bildarchiv des Braunschweiger Welfen-Kenners Professor Gerd Biegel finden sich Fotos, die die Kinder Ernst Augusts und Victoria Luises schon 1933 in Uniformen der Nazi-Jugendorganisationen zeigen.