Berlin. Jetzt wird die Klägerin zur Angeklagten: Das Model Gina-Lisa Lohfink soll zwei Männer zu Unrecht der Vergewaltigung bezichtigt haben.

Gina-Lisa Lohfink ist bei der Fortsetzung ihres Prozesses in Tränen ausgebrochen. Als die Richterin am Montag ein Sexvideo zur Beweisaufnahme – den Laptopmonitor vom Publikum abgewandt – anschauen ließ, blieb das Model zunächst auf seinem Platz. Als ihr Anwalt sie dazu holte, begann sie zu weinen. „Es ist wirklich schlimm, was hier mit mir gemacht wird“, sagte sie.

Richterin Antje Ebner rügte daraufhin den Anwalt: „Sehen Sie nicht, dass Ihre Mandantin emotional überfordert ist? Warum müssen Sie Ihre Mandantin so vorführen?“ Die Verhandlung wurde für zehn Minuten unterbrochen. Die frühere „Germany’s next Topmodel“-Kandidatin muss sich vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen falscher Verdächtigung verantworten, weil sie zwei Männer der Vergewaltigung beschuldigt.

Landete Video gegen den Willen Logfinks im Netz?

Bei einem ersten Treffen am 8. August 2014 im nordrhein-westfälischen Marl war davon noch nicht die Rede. Verabredet waren damals Lohfink, ihr Anwalt Burkhard Benecken und Klaus Wilker, Reporter der Marler Zeitung. Lohfink sei müde und nicht sehr gesprächig gewesen, erinnert sich Wilker. Nicht so ihr Anwalt Benecken. Der habe etwas Wichtiges klären wollen: „Ich vertrete Frau Lohfink als Geschädigte in einem Strafverfahren“, wird er von Wilker zitiert.

Von einem „heißen Video, das die Blondine beim Sex mit zwei Männern in einem Hotelzimmer zeigt“, ist in dem Artikel die Rede. Und noch einmal wird Benecken zitiert: „Wir haben Anzeige gegen zwei Männer in Berlin erstattet, die das Video gegen den Willen meiner Mandantin ins Internet gestellt haben. Zuvor hatten sie versucht, das Video zu verkaufen. Das ist nach dem Kunsturhebergesetz verboten.“ Die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft stünden kurz vor dem Abschluss, so der Anwalt. Seine Mandantin sage, „es sei unfreiwillig entstanden, die Beschuldigten behaupten das Gegenteil“.

Lohfink soll falsche Vorwürfe erhoben haben

Es ist genau jenes Video, das nun auch Dreh- und Angelpunkt in dem inzwischen spektakulären Prozess vor der Strafrichterin Antje Ebner ist. Nur sind in diesem Verfahren nicht die beiden Männer die Beschuldigten. Der 28-jährige Pardis F. und der 32-jährige Sebastian C. wurden zwar mit Geldstrafen von 3150 und 5400 Euro belegt, weil sie das Video ohne Erlaubnis von Lohfink ins Internet stellten. Angeklagt im aktuellen Verfahren ist jedoch Gina-Lisa Lohfink selbst. Die 29-Jährige muss sich wegen falscher Verdächtigung verantworten. Staatsanwältin Corinna Gögge wirft ihr vor, sie habe die zwei Männer zu Unrecht beschuldigt, sie in der Nacht vom 2. zum 3. Juni 2012 in der Wohnung von Sebastian C. vergewaltigt zu haben.

Ein Verfahren wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung gegen beide Männer wurde von der Staatsanwaltschaft längst eingestellt. Pardis F. hat die Vorwürfe auch vor Gericht vehement bestritten und sich als Opfer einer Rufmordkampagne dargestellt.

Ex-Manager: „Es war einvernehmlicher Sex“

Sebastian C., zuvor nicht auffindbar, äußerte sich in der vergangenen Woche überraschend im Frühstücksfernsehen des TV-Senders Sat1. Auch er schwor Stein und Bein, dass es eine Vergewaltigung nicht gegeben habe. Der frühere Manager Sebastian C. hat nun vor Gericht den Vorwurf erneut zurückgewiesen, das Model vergewaltigt zu haben. „Es war einvernehmlicher Sex“, sagte der 32-jährige am Montag vor dem Amtsgericht. „Wir hatten zu dritt Spaß.“ Auch Drogen oder K.o.-Tropfen seien in der Nacht im Juni 2012 nicht im Spiel gewesen.

Fortgesetzt wird der Prozess im Saal B129, der im Berliner Kriminalgericht ansonsten gern für stark abgesicherte Verfahren gegen Mafia- oder Rockerbanden genutzt wird. Dort ist viel Platz für Zuschauer. Und dennoch wird er voraussichtlich nicht reichen. Der Fall ist inzwischen von bundesweitem Interesse. Mehrere Politikerinnen haben sich – schon bevor es ein rechtskräftiges Urteil gibt – mit ihren Statements weit aus dem Fenster gelehnt. Stets im Sinne von Gina-Lisa Lohfink. Das reicht von Kommunalpolitikerinnen bis hin zur Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), die sich im #TeamGinaLisa zu Wort meldete.

Von Kultur des Misstrauens ist die Rede

Für die Teilnehmerinnen dort ist absolut klar, dass die Täter in diesem Fall die beiden Männer sind und Lohfink zu Unrecht angeklagt wurde. Geplant ist auch – wie schon beim letzten Verhandlungstag am 27. Juni – eine Demonstration vor dem Gerichtsgebäude an der Moabiter Turmstraße. Vermutlich wieder mit Transparenten wie „Stop Blaming Victims“, also „Hört auf, die Opfer zu beschuldigen“, „Du bist nicht allein!“ und „Solidarität mit Gina-Lisa Lohfink und allen Betroffenen sexueller Gewalt“.

Von einer Kultur des Misstrauens gegenüber Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, wurde gesprochen. Von einer Justiz, die nur im Sinne der Männer urteile. Vielleicht wird auch Gina-Lisa Lohfink selbst wieder auf die Straße gehen, Seite an Seite mit ihrem Anwalt Benecken. Sie wird vielleicht zum Mikrofon greifen, wie schon am 27. Juni, und mit tränenerstickter Stimme sagen: „Ich bin überwältig, dass ihr mir so helft“ und „Ich habe ,nein’ gesagt, immer wieder ,nein’. Was ist daran nicht zu verstehen?“ Und sie wird vermutlich wieder sehr glaubhaft und schutzbedürftig wirken.

Lohfink soll im Europaparlament sprechen

Lohfink ist inzwischen zu einer Vorreiterin im Kampf für Frauenrechte geworden. Sie soll dazu im Europaparlament sprechen. Ihr Name steht im Kontext zu einer Verschärfung des Sexualstrafrechts, die am 7. Juli im Bundestag unter dem Motto „Nein heißt nein“ beschlossen wurde: Sexuelle Handlungen sollen künftig auch dann als Vergewaltigung gewertet werden, wenn sich ein Opfer nicht aktiv sondern nur mit Gesten oder Worten zu wehren versucht. Dafür, so scheint es, ist das Schicksal Lohfinks der klassische Fall.

Staatsanwältin Gögge indes sieht das anders. Sie hat den Ruf, eine sehr konsequente Strafverfolgerin zu sein, wenn es gegen Vergewaltiger geht. Bei Lohfink drehte sie den Spieß um. Was selten ist. Gegen die Ex-Geliebte von Jörg Kachelmann, die den Wettermoderator wegen Vergewaltigung vor das Mannheimer Landgericht brachte, wurde nach Kachelmanns rechtskräftigem Freispruch kein Verfahren wegen falscher Verdächtigung eingeleitet.

Im Fall Lohfink scheint es eine andere Beweislage zu geben. Es gibt Videos: handfeste Beweise. Auf jenem, das F. und C. veröffentlichten, ist Gina-Lisa Lohfinks verzweifelt klingende Stimme zu hören. Ihr „nein, nein, hört auf“ und auch die scheinbar entlarvenden Stimmen der Männer: „Laber nich’ herum“ und „Komm, sie braucht es härter“, sollen sie gesagt haben.

Anwälte verließen wütend den Gerichtssaal

Doch es gibt noch weitere Videosequenzen, die in der gleichen Nacht aufgenommen und später sichergestellt wurden. Sie belegen nach Meinung der Ermittler, dass der Sexualverkehr „einvernehmlich stattgefunden“ und Lohfink „bewusst wahrheitswidrig“ von Vergewaltigung gesprochen hat.

Am 27. Juni standen diese Videosequenzen als Beweismittel auf dem Plan. Lohfinks Anwälte verließen jedoch wütend den Saal, als Richterin Ebner sie den Prozessbeteiligten zeigen wollte, ohne die Öffentlichkeit auszuschließen. Lohfink selbst hätte die öffentliche Präsentation der Videos sogar begrüßt: Weil man dann sehen könne, was ihr geschehen sei, sagte sie im Gerichtsflur. Weil man dann hören könne, „dass ich ,Hilfe! Hilfe! Polizei!’ gerufen habe“.

Im Interview keine Rede von Vergewaltigung

Es wird vieles zu klären sein in diesem merkwürdigen, widersprüchlichen Verfahren. Vielleicht auch, was Anwalt Benecken bewog, am 8. August 2014 beim Gespräch mit dem Lokalreporter der Marler Zeitung nichts von einer Vergewaltigung zu sagen und nur von einem Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz zu sprechen. Zwei Jahre nach der vermeintlichen oder mutmaßlichen Vergewaltigung, die Benecken heute so heftig anprangert.

Reporter Klaus Wilker ist absolut sicher, dass nur diese Worte fielen. Mit dem Vergewaltigungsvorwurf wäre sein Artikel ja auch viel interessanter geworden. So sei es bei der wesentlich unspektakuläreren Nachricht geblieben und der Überschrift „Busenmodell fühlt sich durch Sexvideo geschädigt“. (mit dpa)

• Dieser Text ist zuerst auf www.morgenpost.de erschienen.