Istanbul/Berlin. Militär besetzt am späten Freitagabend Atatürk-Flughafen in Istanbul. Präsident Erdogan soll in Sicherheit sein

Staatsstreich gegen Erdogan: Das Militär hat nach eigenen Angaben die Macht in der Türkei übernommen. Damit sollten die demokratische Ordnung erhalten und Menschenrechte geschützt werden, hieß es in einer am späten Freitag verbreiteten Erklärung der Streitkräfte. Die Rechtsstaatlichkeit habe Priorität. Bei einer Geiselnahme im Armee-Hauptquartier in Ankara soll der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge der Militär-Stabschef festgesetzt worden sein. Ein Ansager des Senders TRT erklärte, in der Türkei sei das Kriegsrecht verhängt worden.

Kurze zuvor hatte bereits Ministerpräsident Binali Yildirim von einem Putschversuch gesprochen. Er erklärte, Sicherheitskräfte seien im Einsatz. „Dieser Versuch wird nicht erlaubt werden“, sagte er. Yildirim kündigte an, die Hintermänner des Staatsstreiches „werden den höchsten Preis bezahlen“. Der Sender CNN Türk meldete, Präsident Recep Tayyip Erdogan sei in Sicherheit. Nach Angaben aus Kreisen seines Amtes sei Erdogan trotz des Putschversuches des Militärs nicht abgesetzt. „Der demokratisch gewählte Präsident der Türkei und die Regierung sind an der Macht“, hieß es am Freitagabend aus Kreisen des Präsidialamtes.

Soldaten drangen der regierenden AKP zufolge in ein Parteigebäude ein, meldete CNN Türk unter Berufung auf einen Parteivertreter. In der Hauptstadt Ankara waren Schüsse zu hören. In einem Stützpunkt für Spezialeinheiten der Polizei in der Nähe der Stadt soll es eine Explosion gegeben haben.

Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Militärfahrzeuge Brücken über den Bosporus blockierten und am Flughafen von Istanbul in Stellung gingen. Der Nachrichtensender NTV zeigte in Liveübertragungen Bilder von Panzern, die vor dem Istanbuler Atatürk-Flughafen aufgefahren waren. Nach Agenturangaben brachte die Armee den Tower des größten Flughafens des Landes unter ihre Kontrolle. Alle Flüge seien gestrichen worden, berichtete ein Zeuge unter Berufung auf einen Piloten. Über der Metropole kreisten Hubschrauber.

Eine Brücke in Istanbul war an diesem Abend in den Farben der französischen Nationalflagge erleuchtet – die Türkei zeigte sich solidarisch mit den Opfern des Anschlags von Nizza, bei dem am Abend zuvor mindestens 84 Menschen gestorben waren. Das Telefonnetz war zwischenzeitlich überlastet, aus dem Ausland waren Verbindungen in die Türkei am Abend kaum noch möglich. Viele türkische Internetseiten waren nicht erreichbar. Der Zugang zu Diensten wie Facebook, Twitter und YouTube in der Türkei war nach Angaben von Internet-Beobachtergruppen stark eingeschränkt.

Jets im Tiefflug über Hauptstadt Ankara

Die Nachrichtenagentur DHA meldete, in der Hauptstadt Ankara habe die Polizei das gesamte Personal zum Dienst gerufen. Im Umfeld des Armee-Hauptquartiers seien erhöhte Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden. Zahlreiche Krankenwägen stünden dort bereit. Jets würden im Tiefflug über die Hauptstadt fliegen.

Das amerikanische Außenministerium rief US-Bürger in der Türkei zu verstärkter Wachsamkeit auf. Sie sollten Schutz suchen und das Haus nicht verlassen, schrieb das Ministerium im Kurznachrichtendienst Twitter.

Es wäre nicht der erste Staatsstreich für das türkische Militär. Die Armee sieht sich als Wächterin der weltlichen Verfassung des Landes und hat seit 1960 drei Mal gegen die Zivilregierung geputscht.

1960 sah das Militär das demokratische System bedroht und stürzte die Regierung. Ministerpräsident Adnan Menderes und zwei Minister wurden im September 1961 gehängt. Die Regierung hatte die Pressefreiheit sowie die politischen Rechte der Opposition eingeschränkt. Die Militärs bleiben 17 Monate an der Macht.

Die zweite Intervention 1971 gilt als Antwort der Armee auf den wachsenden Terror gewalttätiger Gruppen der extremen Linken. Generale zwangen Ministerpräsident Süleyman Demirel per Denkschrift zum Rücktritt. Im Jahr darauf setzte das Militär wieder eine zivile Regierung ein.

1980 endete auch die zweite Amtszeit Demirels mit seinem Sturz. Die Militärführung unter General Kenan Evren verhängte das Kriegsrecht, um den Verfall staatlicher Autorität angesichts linken und rechten Terrors aufzuhalten. Etwa 650.000 Menschen wurden festgenommen, es gab Hinrichtungen. Erst Ende 1983 ging die Militärherrschaft zu Ende.