Berlin. Die Mütter von Mohamed und Elias treffen vor Gericht auf den Mann, der ihre Söhne umgebracht haben soll

Es gibt kein typisches Verhalten für Angeklagte, denen die Tötung von Kindern vorgeworfen wird. Silvio S., der sich seit Dienstag vor einem Schwurgericht in Potsdam wegen Mordes an dem sechsjährigen Elias und dem vierjährigen Mohamed verantworten muss, wird im Verhandlungssaal fast den ganzen Prozesstag wie ein unbeteiligter Beobachter sitzen – und dabei sogar lächeln.

Schon als er um 10.25 Uhr in den Saal geführt wird, ist klar: Es erscheint nicht der erwartete hart wirkende Typ. Es kommt ein großer schlaksiger Mann, mit spärlichem Dreitagebart, Brille, strubbeligem Haar. „Interessiert, entspannt, in sich ruhend“, beschreibt ihn Anwalt Andreas Schulz, der für Angehörige des kleinen Mohamed die Nebenklage vertritt.

Neben Schulz sitzt Mohameds Mutter. Ihr Gesicht scheint fast nur aus dunklen Augenringen zu bestehen. Von Schlafmangel, Trauer und Schmerz gezeichnet schaut die Frau lange Zeit ins Leere. Dann blickt sie geradeaus durch den Saal auf Silvio S. – den Mann, der Mohamed 2015 entführt, missbraucht, ermordet und eiskalt unter Katzenstreu versteckt haben soll.

Um 11.45 Uhr wird entschieden, dass dem Antrag einer nicht öffentlichen Verhandlung nicht stattgegeben wird. Das Interesse der Öffentlichkeit sei wichtiger als das Interesse des Angeklagten, Umstände aus seinem sehr intimen Lebensbereich nicht öffentlich zur Sprache kommen zu lassen. Silvio S. wirkt auch in diesem Moment sehr unaufgeregt. Und er bleibt es, als der Staatsanwalt Peter Petersen den Anklagesatz verliest.

Vieles von dem grauenvollen Geschehen, das hier aus Sicht der Staatsanwaltschaft vorgetragen wird, kann nur vom Angeklagten selbst stammen: Wie er am 8. Juli vergangenen Jahres den kleinen Elias vom Spielplatz lockte und mit ihm wegfuhr. Wie er dem Kind Schlafmittel gab, ihm eine Gesichtsmaske überstreifte. Und als das Kind dennoch nicht leise war, soll ihn Silvio S. erwürgt haben.

Ähnliches geschah am 21./22. Oktober 2015. Staatsanwalt Petersen beschreibt, wie Silvio S. (33) seinen Dacia in Berlin-Moabit unweit des Geländes des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) parkte und sich dann zielgerichtet zu dem überfüllten Platz begab. In der Hand einen Plüschteddy. Und wie er wenig später den herumtollenden Mohamed angelockt und mitgenommen haben soll zu seiner Wohnung im südbrandenburgischen Kaltenborn. Auch Mohamed soll von Silvio S. mit Schlafmittel sediert und erwürgt worden sein. Nach Verlesen des Anklagesatzes ist es einige Sekunden beklemmend ruhig im Gerichtssaal. Silvio S. könnte aussagen, doch er schweigt. Kurz darauf erscheint die erste Zeugin. Es ist die Mutter des kleinen Elias. Das Schwurgericht will in zwei Blöcken verhandeln. Im ersten geht es um den Tod von Elias, im zweiten um den Tod von Mohamed.

Anita S. läuft an einer Krücke. Es wird nicht bekannt, woran die 26-Jährige leidet. Aber es wirkt, als habe sie der Schmerz auch körperlich erfasst. Sie ist von Beruf Übersetzerin, war in der Zeit, „als Elias verschwunden ist“, arbeitslos. Sie wird noch mehrmals „verschwunden“ sagen, als meide sie Wort „getötet“. Elias sei ein für sein Alter sehr kleiner Junge gewesen, sagt sie, blond mit blauen Augen“. Sehr lebhaft sei er gewesen.

Sie spricht sehr leise, erzählt, dass sie in Potsdam Schlaatz in eine neue, größere Wohnung gezogen seien. Sie habe ihn morgens stets zur Schule gebracht und nachmittags wieder abgeholt. „Ich wollte ihn nicht allein fahren lassen, er hätte umsteigen müssen, und er besuchte ja erst die erste Klasse“, sagt sie. Auch sonst habe sie dem Jungen immer wieder klargemacht, vorsichtig zu sein. „Die Wohnungstür hätte er niemals geöffnet.“ Elias habe auch erst wenige Male allein auf dem Platz vor dem Wohnhaus spielen dürfen, „und auch nur so, dass ich ihn vom Fenster aus im Auge hatte“. So auch am 8. Juli. Gegen 18.30 Uhr wollte sie vor der Tür eine Zigarette rauchen und den Jungen anschließend mit nach oben nehmen; es war Abendbrotzeit. Da war er nicht mehr da.

Silvio S. lächelt nicht mehr, er tupft mit einem Taschentuch an seinem linken Auge. Gibt es bei ihm doch so etwas wie Empathie? Der psychiatrische Sachverständige hat Silvio S. in einem vorläufigen Gutachten volle Schuldfähigkeit attestiert.