Berlin. 900 Polizisten durchsuchen das „Artemis“ in Berlin und entdecken Verbindungen zu Rockerbanden und Menschenhandel

Das Berliner Großbordell „Artemis“ hat ein Saubermannimage – dafür haben die Betreiber seit der Eröffnung 2005 viel getan. Sie verkauften ihr Haus als Wellnessoase mit Spaßbad, Fitnesscenter, Restaurant und Fußballübertragungen im Pornokino – ein Bordell mit Prostituierten, die angeblich ohne Zwang und Zuhälter arbeiten und deshalb Eintritt zahlen wie ihre Freier. Nun hat eine der größten Razzien der jüngeren Berliner Vergangenheit gezeigt, dass es hinter dieser Rotlicht-Kuschelfassade wohl rabenschwarz aussieht. Die Ermittler fühlen sich an Al Capone erinnert.

900 Polizisten, Steuer- und Zollfahnder durchsuchten das Bordell in der Nacht zu Donnerstag. Der Verdacht wiegt schwer und reicht von Rockerbandenverbindungen bis hin zu Menschenhandel. Sechs Haftbefehle wurden vollstreckt: Zwei gegen die Betreiber und vier gegen sogenannte Hausdamen. Sie sollen als Bindeglied zwischen den Betreibern und den Prostituierten für die Umsetzung der Anweisungen gesorgt haben.

Auch Wohnungen und Steuerbüros in Bayern und Hessen durchsucht

232 Personen wurden in der Nacht vernommen, darunter 118 Prostituierte. Zudem wurden sechs Wohnungen in Berlin sowie weitere sechs in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen durchsucht. Darunter seien auch Steuerbüros gewesen, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich. Laut Staatsanwaltschaft geht es um Ermittlungen zu organisierter Kriminalität, um Hinterziehung von Sozialabgaben, Ausbeutung und Gewaltanwendung. „Den Weg, über das Geld, über Steuerbetrug und Hinterziehung von Sozialabgaben an einen Fall ranzugehen, sind wir zuvor noch nicht gegangen“, sagte Oberstaatsanwalt Andreas Behm. Offenbar war die Premiere ein Erfolg. Im Mittelpunkt stünden nicht nur Bagatelldelikte, sondern Taten, die das „System des illegalen Umfeldes“ bestätigen würden, etwa Menschenhandel.

Wo Freier in weißen Bademänteln zwischen Bildern der griechischen Jagdgöttin Artemis wandeln, sollen Mitglieder der Rockerbande Hells Angels Frauen mit Gewalt der Prostitution zugeführt haben, sagen die Ermittler. Sie seien „in Abhängigkeit gehalten und ausgebeutet“ worden. Die Betreiber hätten davon gewusst, aber sich nicht selbst die Hände schmutzig gemacht.

17,5 Millionen Euro Schaden sei etwa durch die Hinterziehung von Sozialleistungen entstanden, weitere sechs Millionen durch nicht gezahlte Steuern, sagte Michael Kulus, Sprecher des Hauptzollamtes Berlin. Es seien zudem Vermögenswerte von rund sechs Millionen Euro sichergestellt worden. Worum es sich dabei konkret handelt, wollten die Ermittler nicht sagen. Welche Dimension der Fall hat, mag auch diese Zahl verdeutlichen: Im gesamten vergangenen Jahr wurden vom Zoll in Berlin im Bereich Schwarzarbeit und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, Schäden von 60,5 Millionen Euro aufgedeckt, wie Kulus sagte.

Oberstaatsanwalt Behm zog einen Vergleich mit dem Mafia-Gangster Al Capone im Chicago der 20er-Jahre, der wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde, obwohl sich die eigentlichen Verbrechen auf einer viel massiveren Ebene abgespielt hatten.

Das Ermittlungsverfahren im „Artemis“ sei in Gang gekommen, weil eine der Frauen im vergangenen Sommer ausgepackt habe. Sie sei von ihrem Freund, einem Hells-Angels-Mitglied, zur Arbeit ins Bordell geschickt und „so malträtiert worden, dass sie keinen Ausweg mehr gesehen hat, als sich an die Polizei zu wenden“, sagte Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra. Daraufhin seien die Ermittlungen aufgenommen worden. Die wichtige Zeugin steht nun unter besonderem Schutz.

In den Vernehmungen hätten die Prostituierten bestätigt, dass sie unter strenger Reglementierung standen und nicht selbstständig gearbeitet hätten. Zu den Vorschriften gehörten laut Staatsanwaltschaft unter anderen: Schichtdienstregelung, die Pflicht, an vier Tagen in der Woche zu arbeiten, einen Schlafplatz zu mieten und sich von einem für „Artemis“ tätigen Arzt untersuchen zu lassen.

Stadtrat: „Unser Ziel ist die Schließung“

Wie es nun mit dem Bordellbetrieb weitergeht war gestern nicht ganz klar. Das Haus war am Morgen nach der Razzia geöffnet. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft muss das zuständige Gewerbeamt über den Weiterbetrieb entscheiden. Marc Schulte (SPD), Stadtrat für Ordnungsangelegenheiten, sagte: „Wir werden ein Verfahren zum Widerruf der Gaststättenerlaubnis und zum Entzug der Zulassung als Beherbergungsbetrieb sofort einleiten.“ Ziel sei die Schließung des Betriebes. Der Widerruf werde den Betreibern zugehen. „Sie haben dann die Möglichkeit, sich dazu zu äußern“, sagte Schulte.