WAshington. Frau aus Florida hatte sich mit der Schießkunst des Kindes gebrüstet. Und die Waffenfreundlichkeit Amerikas gepriesen

„Nicht Waffen schießen auf Menschen. Menschen schießen auf Menschen.“ So lautet der Standardsatz der mächtigen National Rifle Association (NRA), wenn der Waffenkult in Amerika wieder ein Opfer gefordert hat. Statistisch gesehen geschieht das 89-mal am Tag. Über 32.000-mal im Jahr. Amerika hört kaum mehr hin. Es sei denn, die Menschen, die schießen, sind vier Jahre alte Söhne von Müttern, die ihren Leichtsinn im Umgang mit Waffen fast mit dem Leben bezahlt hätten. Zum Beispiel Jamie Gilt.

Die 31-Jährige aus Jacksonville im US-Bundesstaat Florida liegt seit Dienstag mit einer Schusswunde am Rücken im Krankenhaus. Der Schütze war nach Angaben der Polizei ihr eigener Sohn. Der Vierjährige saß während der Fahrt im Auto ohne Kindersitz auf der Rückbank hinter ihr, entdeckte im Fußraum eine geladene Pistole vom Kaliber .45, zielte und drückte ab. „Er hat geradewegs durch sie hindurch geschossen. Die Kugel ging an der Lendenwirbelsäule hinein und kam in der Bauchgegend wieder heraus“, sagte Hilfssheriff Joseph Wells der Zeitung „Florida Times-Union“. Der Beamte war bei einer Streifenfahrt auf den halb auf der Fahrbahn geparkten Wagen Gilts aufmerksam geworden und hatte die blutende Mutter hinter dem Lenkrad gefunden.

Jamie Gilt befindet sich nach notärztlicher Behandlung in stabiler Verfassung. Ihr Sohn ist bei Großmutter und Vater in sicherer Obhut. Nur in den Medien und im Internet schlagen die Wellen ungewöhnlich hoch. Empörung, Häme und bitterster Zynismus schlägt dem Opfer entgegen. Denn wenn sich Erkenntnisse der Polizei bestätigen, ist Jamie Gilt identisch mit einer Facebook-Identität gleichen Namens, die sich noch am Tag vor der Tragödie mit Foto über das Segensreiche der Waffengesetze ausgelassen hat. Mit Cowboyhut auf dem Kopf und Gewehr in der Hand warb die braunhaarige Frau dafür, bei Einbrechern das Recht in die eigene Hand zu nehmen. „Jeder hier bei uns weiß, wie man schießt. Schon mein Vierjähriger kann mit einem Kleinkalibergewehr umgehen.“

„Bitte bekomme keine weiteren Kinder mehr“, ätzte ein Kommentator im Internet über die Nachlässigkeit Gilts. Ein anderer ergänzte: „Ich hoffe, dass Du Dir die Zeit nimmst, an all die Leute zu denken, die von Mordinstrumenten getötet oder verstümmelt werden, die Du so leichtfertig behandelst.“ Die Liste ist lang.

Im April 2013 erschießt ein Fünfjähriger in Kentucky seine zweijährige Schwester. Er hatte die Waffe der Marke „My First Rifle“ (Mein erstes Gewehr) erst kurz vorher geschenkt bekommen. Im Januar 2014 tötet eine Vierjährige in Detroit ihren gleichaltrigen Cousin beim Spielen. Das Mädchen hatte das geladene und ungesicherte Gewehr unter dem Bett ihrer Eltern gefunden. Im Dezember 2014 erschießt ein Zweijähriger in einem Supermarkt in Idaho seine Mutter. Das Kleinkind saß im Einkaufswagen, fand in Mamas Tasche die Waffe und feuerte. Im April 2015 stirbt in Ohio der einjährige Braylon Robinson. Sein Bruder, 3, war der Schütze – mit der Waffe der Mutter.

Clevelands Polizeichef Calvin Williams fand damals selten harsche Worte: „Die Faszination, die wir nicht nur in dieser Stadt, sondern in diesem Land für Pistolen haben, muss aufhören.“ Der Aufschrei verpuffte. Wie immer. Zu übermächtig scheinen Tradition und Fakten. Rund 320 Millionen Schießprügel lagern in amerikanischen Privathaushalten. In 30 von 50 Bundesstaaten dürfen Kinder legal Gewehre besitzen. Und das alles nur, weil es in der Verfassung heißt: „Weil eine gut organisierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates erforderlich ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.“

Jamie Gilt hat wegen ihrer mangelnden Fürsorge nicht viel zu befürchten. Florida ist sehr waffenfreundlich. Die Mutter könnte zu einer Haftstrafe von bis zum einem Jahr, zwölf Monaten auf Bewährung und/oder 1000 Dollar Geldstrafe verurteilt werden. So oder so, es wäre nur eine Ordnungswidrigkeit. Die Entscheidung liegt bei Staatsanwalt R.J. Larizza. Sein pensionierter Kollege Harry Shorstein sagte, er würde auf eine Anklage verzichten. Jamie Gilt sei schon genug gestraft.