Bad Aibling. Fahrdienstleiter soll im Stellwerk falsches Signal ausgelöst haben. Der 39-Jährige hat eine umfangreiche Aussage gemacht Fahrdienstleiter soll im Stellwerk falsches Signal ausgelöst haben. Der 39-Jährige hat eine umfangreiche Aussage gemachtFahrdienstleiter soll im Stellwerk falsches Signal ausgelöst haben. Der 39-Jährige hat eine umfangreiche Aussage gemacht

Ganz am Ende der Pressekonferenz, nachdem Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese aus Traunstein, zusammen mit Kollegen, ganz nüchtern die neuesten Ergebnisse zum Zugunglück im oberbayerischen Bad Aibling von vergangener Woche verkündet hat, macht er noch einmal eine Pause und spricht das an, was viele denken: „Die Bilder im Kopf sind schwer zu verkraften.“ Giese meint das Ereignis, das vor einer Woche am Faschingsdienstag auf der eingleisigen Strecke passierte: Zwei Regionalzüge waren ungebremst aufeinandergestoßen, ein Zug bohrte sich förmlich in den anderen hinein. Elf Menschen kamen ums Leben, über 80 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Doch diese Bilder im Kopf werden noch um ein Vielfaches größer und schwerer zu verarbeiten sein für den Menschen, der – so sieht es nach bisherigem Kenntnisstand der Ermittler aus – das verheerende Unglück verursacht hat. Ein 39 Jahre alter Fahrdienstleiter, so berichtete Oberstaatsanwalt Giese gestern bei der Pressekonferenz, soll an jenem Dienstagmorgen im Stellwerk einen gravierenden Fehler begangen und ein falsches Signal ausgelöst haben. „Hätte er sich regelgerecht – also pflichtgemäß – verhalten, wäre es nicht zum Zusammenstoß der Züge gekommen“, sagte Giese.

Der Staatsanwalt machte allerdings auch deutlich, dass, anders als im Fall von Andreas L. und dem Absturz der Gemanwings-Maschine im vergangenen Frühjahr in Südfrankreich, kein Mutwille hinter der Tat steht. „Es geht in unserem Ermittlungsverfahren um menschliches Versagen mit katastrophalen Folgen, aber nicht um vorsätzliche Herbeiführung des Zugunglücks.“ Es gebe keine Anhaltspunkte für ein technisches Versagen der Züge oder der Signal- und Bremsanlagen.

Am Montag, so erläuterte Giese weiter, hatte der Fahrdienstleiter sein Schweigen gebrochen und eine umfangreiche Aussage gemacht. Die Angaben des 39-Jährigen „von der Freigabe des Zugverkehrs bis zu den Versuchen, die bereits abzusehende Katastrophe zu verhindern“, müssten nun anhand der sichergestellten Daten und der Ermittlungsergebnisse überprüft werden, hieß es. Das Vernehmungsgespräch habe mehrere Stunden gedauert. Inzwischen sei der Mann an einem Ort, der der Staatsanwaltschaft bekannt ist. „Aber ein Grund für eine Inhaftierung besteht nicht“, heißt es. „Es geht ihm nicht gut.“ Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre. Entscheiden muss dies das zuständige Gericht.

Die beiden Notrufe in letzter Minute gingen ins Leere

Die Arbeit des 39-Jährigen, wie die von 13.000 anderen Fahrdienstleitern in Deutschland, besteht darin, per Hebel, Tasten oder Mausklick die verschiedenen Gleise und Gleissysteme zu kontrollieren. Ein Stellwerker wird dabei von Sicherheitsprogrammen zusätzlich unterstützt, die Fehler verhindern sollen. In Bad Aibling ging es um ein Relaisstellwerk, in dem mehrere Sicherungen dafür sorgen, dass es auf der eingleisigen Strecke nicht zu Zusammenstößen kommt. Nur ein Stellwerker kann diese Signale auch manuell einstellen.

Offenbar war an diesem Morgen genau das passiert: Einer der Züge, der von Holzkirchen Richtung Rosenheim fuhr, hatte drei bis vier Minuten Verspätung. Statt eines roten Lichts sah der Zugführer ein rotes Licht mit drei weißen Punkten darunter. Das bedeutete: Er darf durchfahren. Als der Fahrdienstleiter den Fehler bemerkte, versuchte er zwei Notrufe. „Doch die gingen ins Leere“, berichtete Giese.

Der 39-Jährige soll ein erfahrener Mitarbeiter gewesen sein, er hatte im Jahr 1997 seine Ausbildung beendet. Es gebe keinerlei Anzeichen für eine psychische Erkrankung, sagte Polizeipräsident Robert Kopp. Der Mann hatte seinen Dienst am Morgen um fünf Uhr begonnen und war zum Unfallzeitpunkt vollkommen nüchtern, der Alkoholtest zeigte 0,0 Promille an. Auch Drogen habe er nicht genommen. „Was wir momentan haben, ist ein furchtbares Einzelversagen“, sagte Staatsanwalt Jürgen Branz.

Auch nach der Aussage des Fahrdienstleiters gehen die Ermittlungen weiter. „Wir sind bis heute dabei, ein riesiges Puzzle zusammenzusetzen. Dann klären wir: Wo stehen wir, wo steht der Beschuldigte?“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Giese.

Grüne fordern bessere Standards bei der Ausbildung

Der bahnpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Matthias Gastel, kritisiert eine mangelnde Qualifizierung der Fahrdienstleiter durch die Deutsche Bahn. „Es fehlen einheitliche Qualifizierungsstandards“, sagte Gastel dieser Zeitung und forderte außerdem eine „schnellere Aufklärung von Eisenbahnunfällen“. Die Aufklärung von gefährlichen Ereignissen im Schienenverkehr durch die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes dauere derzeit bis zu sieben Jahren, sagte Gastel.

Noch steht ein Waggon eines der Unglückszüge neben dem Gleis. Er kann frühestens am Mittwoch abtransportiert werden. Danach wird die Oberleitung wieder montiert, die für die Bergungsarbeiten abgebaut worden war. Am Unglücksort geht derzeit die Wiederherstellung des beschädigten Gleises weiter. Auf mindestens 120 Metern werden deformierte Schienen erneuert und das Gleisbett ausgebessert.

Am Sonnabend soll eine Simulationsfahrt den verhängnisvollen Ablauf nachstellen. Womöglich wird am kommenden Montag der Fahrbetrieb wieder aufgenommen. Die Meridian-Züge zwischen Holzkirchen und Rosenheim werden privat von der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) betrieben, einer Tochter der Transdev mit deutschem Sitz in Berlin. Eben diese Meridian-Züge werden dann wohl bald die Unglücksstelle am östlichen Ortsausgang von Bad Aibling wieder täglich passieren.