Vor 65 Jahren wurden der verstorbenen Henrietta Lacks Krebszellen entnommen - diese teilen sich noch heute

Ein medizinisches Phänomen sorgt dafür, dass Zellen einer vor 65 Jahren verstorbenen Frau heute noch helfen, Leben zu retten. Alles begann Anfang 1951 in Baltimore - Henrietta Lacks, eine junge Amerikanerin, geht mit stechenden Bauchschmerzen zum Arzt. Acht Monate später ist sie tot – Gebärmutterhalskrebs. „Dieser Tumor war anders als alle anderen. Er war so groß wie eine Münze, sehr lila und weich, dabei sind solche Tumore normalerweise hart“, wird der behandelnde Arzt, Howard Jones, später schreiben. Jones entnahm seiner Patientin am 8. Februar vor 65 Jahren Zellen – und gab sie an das Labor des Kollegen George Gey.

Dieser legte die Gewebeprobe in ein Gemisch aus Hühnerplasma, einem Extrakt aus Kalbsembryonen und Nabelschnurblut, stellte sie in einen Kühlschrank und erwartete das baldige Absterben des Gewebes. Denn bislang war es niemandem gelungen, menschliche Zellen im Labor für mehr als ein paar Wochen am Leben zu halten.

Doch die Zellen, auf deren Behälter die Anfangsbuchstaben des Namens der Patientin stehen – „HeLa“ – wachsen und wachsen. Bald sind es Millionen, die ersten menschlichen Zellen, die sich jemals in einem Labor vermehrt und für mehr als nur ein paar Tage überlebt haben.

„In der Geschichte der Forschung nimmt das eine Spitzenposition ein, es war eine wissenschaftliche Sensation“, sagt Elisabeth Schwarz, Biologin am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Erstmals in der Geschichte der Medizin kann nun ausgiebig an menschlichen Zellen geforscht werden.

George Gey verschickt HeLa an Labore in aller Welt. Wissenschaftler vermischen ihr neues Forschungsobjekt mit den Zellen von Mäusen und Hühnern, sie analysieren daran die Auswirkungen von Krebs, Kinderlähmung und Aids. Auch in der Molekular-und Zellbiologie wird an HeLa geforscht. Die Zellen werden zum Standard in jedem Labor – bis heute.

Inzwischen gebe es Hunderte anderer Zelllinien, sagt Schwarz. Aber noch immer sei die allererste begehrt. „HeLa-Zellen wachsen unproblematisch, und sie sind sehr robust. Eine Zelle teilt sich in 24 Stunden, bei anderen Zelllinien dauert das viel länger.“ Warum gerade diese Zellen robust wachsen, können Forscher bis heute nicht sagen.

Dem langjährigen Vorsitzenden des Deutschen Krebsforschungszentrums, Harald zur Hausen, gelang an HeLa-Zellen seine spektakulärste Entdeckung. Er fand darin die Papillomviren HPV16 und 18, und fragte sich, ob das Genmaterial der Viren bei der Entstehung des Tumors eine Rolle spielt. Ergebnis jahrelanger Forschung: Die Viren können Ursache für einen Tumor sein. Ein Impfstoff wird entwickelt, zur Hausen bekommt 2008 den Medizinnobelpreis. Aus einem Tumor im Gebärmutterhals ist rund ein halbes Jahrhundert später die Basis für einen Impfstoff dagegen geworden. (dpa)