Paris. Präsident Hollande gibt einem Gesuch der verurteilten Französin Jacqueline Sauvage statt

Sie ist eine geständige Mörderin und wurde in zwei Gerichtsverfahren jeweils zu zehn Jahren Haft verurteilt. Doch Jacqueline Sauvage hätte eine mildere Strafe verdient oder sogar freigesprochen werden müssen – das meinen neben ihren drei Töchtern sehr viele Menschen in Frankreich und auch zahlreiche Medien. Nun hat Präsident François Hollande einem Gnadengesuch der 66-Jährigen stattgegeben.

Die Geschichte der Jacqueline Sauvage hat die Franzosen zutiefst aufgewühlt. Es ist die Geschichte einer schwer misshandelten Frau und eines Martyriums, welches 47 Jahre lang dauerte. 17.155 Tage lang hatte Jacquelines Ehemann seine Frau regelmäßig geschlagen, getreten und mit dem Tod bedroht, falls sie ihn jemals verlassen oder gar verklagen würde. Bis zum 10. September 2012, als Jacqueline Sauvage vor den Prügeln in ihr Schlafzimmer floh und sich dort verbarrikadierte.

Erst nach einer Viertelstunde, in denen sie Medikamente genommen hatte, verließ Sauvage das Zimmer. Und sie, die aus Scham und Angst nie gewagt hatte aufzubegehren, holte diesmal das Jagdgewehr ihres Gatten, lud es, ging auf die Terrasse und schoss ihrem dort sitzenden Peiniger drei Kugeln in den Rücken. Dann rief sie die Polizei, um sich selber anzuzeigen.

In einem ersten Prozess wurde Sauvage wegen „kaltblütigen Mordes“ zu zehn Jahren Haft verurteilt. Zehn Jahre Haft lautete auch das Urteil des Berufungsgerichts. Aber weder ihre Töchter, die vom Vater ebenfalls geschlagen und zudem als Jugendliche missbraucht worden waren, noch ihre Anwälte, die auf Notwehr plädiert hatten, wollten das Urteil hinnehmen. Sie richteten ein Gnadengesuch an Hollande. Zahlreiche Politiker, Künstler, Prominente und Frauenrechtler schlossen sich dem in einer Petition an, die zuletzt 430.000 Unterzeichner fand.

Der Fall hat eine Debatte über den Notwehrparagrafen angestoßen

Von François Hollande ist bekannt, dass er sein Gnadenrecht als ein überkommenes Privileg aus monarchistischer Zeit ansieht. Anders als seine Vorgänger hat er bislang nur ein einziges Mal davon Gebrauch gemacht. Trotzdem empfing er die Töchter und Anwälte von Sauvage am Freitag zu einem langen Gespräch. Seither wartete ganz Frankreich darauf, dass Hollande Gnade vor Recht ergehen lässt.

Am Sonntag teilte der Élysée-Palast mit, der Präsident habe von seinem Recht Gebrauch gemacht. Die Begnadigung erlaube Sauvage, umgehend einen Antrag auf Haftentlassung unter bestimmten Bedingungen zu stellen. Der Präsident wolle angesichts einer außergewöhnlichen menschlichen Situation die Rückkehr von Frau Sauvage in den Kreis ihrer Familie ermöglichen.

Für die 66-Jährige stellte die präsidiale Gnade die letzte Hoffnung dar. Ihre Verurteilung ist unanfechtbar und entspricht geltendem Recht. Demnach kann ihre Tat nicht als Notwehr eingestuft werden, da sie keine direkte Reaktion auf eine akute Bedrohung war, sondern zeitlich verzögert und laut Staatsanwaltschaft geplant erfolgte.

Der Fall hat dafür gesorgt, dass zahlreiche Politiker aller Parteien fordern, den Notwehrparagrafen zu reformieren und die Notlage systematisch misshandelter Frauen als strafmildernd oder strafbefreiend einzustufen. Ihr Hauptargument: Allein 2015 kamen in Frankreich 134 Frauen durch Schläge ihrer Lebensgefährten zu Tode.