oberaurach. Elfjährige wird an Silvester von Projektil getroffen. Fassungslosigkeit in der Gemeinde Oberaurach in Bayern

Unterfranken, zwischen Schweinfurt und Bamberg im Naturpark Steigerwald: Oberaurach ist eine idyllische 4000-Einwohner-Gemeinde. Jetzt, seit der Silvesternacht, ist es eine Gemeinde unter Schock. Es ist etwa eine Stunde nach Mitternacht, als ein 11-jähriges Mädchen mit mehreren Erwachsenen, darunter ihrer Mutter, und anderen Kindern im Ortsteil Unterschleichach auf der Straße steht und das neue Jahr begrüßt. Plötzlich wird es von einem Gegenstand am Kopf getroffen, bricht bewusstlos zusammen. Wenige Stunden später stirbt es im Krankenhaus.

Die Obduktion ergibt: Das Mädchen wurde von dem Projektil einer Kleinkaliberwaffe getroffen. „Wenn ein Böller eine rostige Blechdose zerrissen hätte, dann wäre das ein schrecklicher Unfall gewesen – aber wenn hier einer in der Öffentlichkeit mit einer scharfen Waffe schießt, dann ist das ja wirklich unglaublich“, sagt eine Nachbarin. Bei der Jahresauftaktveranstaltung des Sportsclubs RSV Unterschleichach war das Unglück einziges Thema. Ein stilles Gedenken galt dem Kind und seinen Eltern. Alle hoffen, dass der Täter sich freiwillig meldet. „Es hätte mein Kind getroffen werden können, es hätte jeden von uns treffen können“, sagte eine Frau. „Es ist entsetzlich, was da passiert ist“, sagte der zweite Bürgermeister Hans Albert. „Wer schießt mit so einer Waffe bei so einer Veranstaltung?“

Niemand aus der Gemeinde glaubt, dass absichtlich auf das Kind geschossen wurde. Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus, bestätigte Polizeisprecherin Kathrin Thamm vom Polizeipräsidium Unterfranken. Ob die Tötung fahrlässig oder vorsätzlich erfolgte, ist dagegen noch offen.

Noch gibt es keine Spur zum Täter. Die Gemeinde findet keine Antworten

„Die Polizei hat rund um die Uhr Nachbarschaftsbefragungen durchgeführt, aber auch in der Bevölkerung ermittelt“, sagt sie. Bisher habe sich jedoch noch keine neue Spur ergeben, man sei allerdings noch dabei, die Zeugenaussagen auszuwerten. „Zwei Spezialisten vom Landeskriminalamt wollen derzeit anhand der Wunde die Schussrichtung feststellen.“ Gleichzeitig überprüft die Polizei Halter von Kleinkaliberwaffen. In welchem Umfang oder Umkreis, darüber machte die Sprecherin keine Angaben. „Allerdings ist es auch möglich, dass der Schuss aus einer nicht registrierten Waffe abgegeben wurde, die auf illegalem Weg beschaffen wurde“, so Thamm.

1,54 Mio. Waffenbesitzer gibt es bundesweit. 5,79 Millionen erlaubnispflichtige Waffen sind im Besitz von Privatpersonen und Vereinen. Voraussetzung ist eine Waffenbesitzkarte. „Die Waffenbesitzkarte wird oft mit dem Waffenschein verwechselt. Nur ein Waffenschein berechtigt dazu, eine schussbereite Waffe in der Öffentlichkeit zu tragen“, erklärt Waffenexperte Andreas Jede von der Berliner Kanzlei „Dr. Schmitz & Partner“. Laut Jede sind das etwa in Berlin circa 240 Personen aus Militär, Polizei und in seltenen Fällen Bewachungsunternehmen. Für eine Waffenbesitzkarte prüft die Behörde ein sogenanntes „Bedürfnis“ in einem langwierigen Prozess. Ein Bedürfnis kann Jägern, Sportschützen, aber auch Sammlern zugestanden werden. Auch Jede geht von einer großen Dunkelziffer an Waffen aus. „Bis in die 70er-Jahre waren sie frei erhältlich, konnten quasi im Versandhaus bestellt werden.“

Jäger oder Sportschützen nutzen Kleinkaliberwaffen

Der Begriff Kleinkaliberwaffe ist nicht eindeutig umrissen, sagt der Experte. Gemeinhin verstehe man darunter Waffen, deren Patronen einen Geschossdurchmesser von weniger als 5,5mm haben und zwischen drei bis vier Gramm wiegen. Kleinkaliberwaffen werden verwendet von Jägern (aber nur für Niederwild wie Hasen und Kaninchen), Geheimdiensten, Militär und Sportschützen. Jede gekaufte Waffe muss einzeln registriert werden.

Für wie wahrscheinlich hält Jede eine versehentliche Tötung, etwa durch einen fehlgeleiteten Salutschuss? „Ich bin immer fassungslos, wenn ich Bilder beispielsweise aus Nordafrika sehe, bei denen Menschen vor Freude in die Luft schießen. Diese Geschosse bedeuten eine tödliche Gefährdung, wenn sie unter Erdbeschleunigung zurückfallen.“ Allerdings sei die Gefahr bei einer Kleinkaliberwaffe wesentlich geringer.

Die Kirchengemeinde trifft sich heute um 18.30 Uhr in der Kapelle in Unterschleichach zum Rosenkranzgebet. „Wir beten für die Seele des getöteten Kindes, um Kraft für die Familie und um Aufklärung des schrecklichen Geschehens“, heißt es in der Einladung.