Im Sauerland steht eine 72-Jährige vor Gericht, die seit 14 Jahren einem katholischen Pfarrer nachstellen soll.

Rolf Hansmann

Der Weihnachtsbaum mit Lichterkette auf dem Flur des Landgerichts Arnsberg ist mit silbernen Kugeln und roten Schleifen geschmückt. Das Fest der Liebe und des Friedens steht eben bevor. Einige Meter von dem Baum entfernt formuliert Pfarrer Michael Hammerschmidt (61) aus dem sauerländischen Meschede-Freienohl den Wunsch für seinen ganz persönlichen Frieden: „Ich will, dass das Ganze endlich aufhört.“ Seit vierzehneinhalb Jahren wird dem katholischen Geistlichen von einer heute 72 Jahre alten Frau nachgestellt.

Von den Kameras unbeobachtet betritt die mutmaßliche Stalkerin die Anklagebank im größten Saal des Landgerichts. Die Seniorin trägt einen überdimensionalen schwarzen Hut und einen violetten Hosenanzug. „Sie hat sich zurechtgemacht“, wird ein Gutachter später sagen. Zurechtgemacht für ihren Angebeteten – den Priester. „Ich liebe ihn von ganzem Herzen, will ihm eine Freude bereiten“, versucht sie in der Berufungsverhandlung zu erklären, warum sie selbst seit ihrer Verurteilung zu einer Haftstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung im März 2014 nicht davon ablässt, dem Pfarrer obszöne Briefe und E-Mails zu schicken, ihn nachts wie tagsüber anzurufen, im Vorgarten des Pfarrhauses phallusähnliche Gegenstände zu deponieren oder dort mit entblößtem Oberkörper zu tanzen.

Nicht zu vergessen die regelmäßigen Ausrufe auf der Straße, dessen Inhalte den Grundsätzen des Jugendschutzes widersprechen. „Warum machen Sie weiter?“, will nicht nur Richter Hans-Joachim Grunwald wissen. „Ist es ein beglückendes Erlebnis für Sie?“ Die Angeklagte starrt noch einen Moment intensiver als zuvor zur Richterbank. „Ja“, sagt sie und führt dann doch ausführlicher aus: „Ich glaube nicht, dass er leidet.“ Er dürfe „wegen seiner Berufung“, sprich: dem Zölibat, nicht ihre Gefühle erwidern. Selbst wenn der Pfarrer als Konsequenz aus dem Nachstellen seinen Wohn- und Arbeitsort wechsle, würde sie ihm wohl folgen. „Sonst fehlt mir seine Nähe.“

Das jahrzehntelange Stalking hat den Pfarrer krank gemacht, klagt dieser

Nur wenige Meter voneinander entfernt sind die Angeklagte und ihr „Liebhaber“, wie sie ihn nennt, als der Pfarrer im Zeugenstand Platz nimmt. Man merkt Michael Hammerschmidt an, dass die Seniorin ihm die Hölle auf Erden bereitet. Das vierzehneinhalbjährige Martyrium ist auf seine Gesundheit geschlagen. Und auf die Psyche: Selbst bei Beerdigungen tauche sie auf und buhle um Aufmerksamkeit – nicht nur, indem sie das Auto des Priesters mit Rosen dekoriert. „Die Frau kennt einfach keine Grenzen.“

Selbst nach dem Urteil aus dem vergangenen Jahr habe es keine Entspannung gegeben, klagt der Pfarrer und nennt als „Faustregel“: Telefonanrufe zwischen 8 Uhr morgens und 21.30 Uhr abends, fünf Besuche pro Woche am Vorgarten des Pfarrhauses. Einmal pro Woche meldet Hammerschmidt den Behörden die Kontaktaufnahmeversuche. Freienohl verlassen will er nicht: „Weglaufen löst doch keine Probleme.“

Sachverständige halten die 72-Jährige für „nicht schuldfähig“

Der Rechtsstaat stoße beim Stalking an seine Grenzen, fordert der Geistliche in einer Verhandlungspause gesetzliche Änderungen. Der Justiz seien die Hände gebunden, der Exhibitionismus-Paragraf beispielsweise beziehe sich nur auf Männer. „Es muss doch in diesem Staat möglich sein, mich vor dieser Frau zu schützen. Ich habe auch Rechte.“ Dass die Rentnerin in eine Justizvollzugsanstalt oder in den Maßregelvollzug eingewiesen werden kann, ist zumindest für den renommierten Essener Psychiater Norbert Leygraf fraglich. Leygraf, einer von gleich vier Gutachtern in diesem Berufungsverfahren, attestiert der Frau, die bis zu ihrem 58. Lebensjahr ein völlig unauffälliges Leben geführt habe, eine wahnhafte Störung in Form eines Liebeswahns. „Sie ist nicht schuldfähig“, so der Sachverständige, „weil bei ihrem Handeln die Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist.“ Und auch eine Unterbringung im Maßregelvollzug sei nicht gerechtfertigt – die Frau stellt aus seiner Sicht keine Gefahr für die Allgemeinheit dar.

„Soll das Ganze denn noch zehn Jahre weitergehen?“, fragt Pfarrer Hammerschmidt, bevor er desillusioniert das Landgericht verlässt. Wenn das Urteil am kommenden Mittwoch gesprochen ist, könnte sich der Spuk fortsetzen. Eine Revision ist dann unausweichlich. „Sie wird weitermachen“, sagt der Psychiater Norbert Leygraf. „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“