Odense. Seit Jahren sezieren dänische Biologen vor Kindern Tiere und erklären Organe. Doch die Aktionen haben Zehntausende Gegner.

Im Disney-Film „König der Löwen“ ist Simba ein niedlicher Kerl, der vor Energie nur so strotzt. Im dänischen Zoo Odense liegt am Donnerstag ein mausetoter Artgenosse auf einem Tisch neben dem Seelöwengehege. Um ihn herum: rund 400 neugierige Kinder und Erwachsene. Manche halten sich die Nase zu, denn der Kadaver müffelt. Biologe Rasmus Kolind hält die fleischige Leber des Raubtiers in die Luft. „Was glaubt ihr, was das hier ist?“

Der neun Monate alte Löwe wurde betäubt und getötet, weil nicht genug Platz im Käfig war und Inzucht drohte. Indem Kolind und eine Kollegin ihn vor Kinderaugen ausnehmen, wollen sie den Jungen und Mädchen zeigen, wie die Tiere aussehen – in Wirklichkeit, nicht im Film. „Wir wollen gerne erzählen, wie fantastisch Löwen sind – und wieviel ihr Körperbau mit unserem gemeinsam hat“, sagt Kolind.

Für diese Art Lehrstunde haben viele Menschen weltweit kein Verständnis: Eine Petition im Internet hatte am Donnerstag mehr als 130.000 Unterstützer. In sozialen Medien beschimpfen wütende Nutzer den Zoo seit Tagen als „Tiermörder“ und die Dänen als „Barbaren“. „In meinen Augen ist es schrecklich, dass man einen gesunden jungen Löwen tötet, und ich verstehe einfach die Eltern nicht, die ihre Kinder mitnehmen, um bei so einem Mord dabei zu sein“, schreibt Grete Stener Eriksen auf Facebook.

Kinder in Odense sind nicht ängstlich

Viele ihrer Landsleute sind anderer Meinung. „Ich finde, das ist eine natürliche Art, den Kindern so etwas nahezubringen“, sagt Ole Varn, der mit seiner Enkelin Anne zusieht. Der Großvater versteht die Aufregung um den Löwen nicht: „Wenn man bedenkt, wie viele Schweine im Jahr geschlachtet werden...“

Erschrockene oder ängstliche Kindergesichter sieht man in Odense nicht – nicht einmal, als Kolind dem Löwen das Fell vom Kopf zieht. Eher neugierige. Anne, die in der ersten Reihe steht, findet die Sezierung „spannend – aber es stinkt!“. Als der Löwe längst in viele Einzelteile zerlegt ist, stehen immer noch viele Kinder um das Raubtier herum und fragen den Biologen Löcher in den Bauch. „Das war richtig spannend, dass man so viel über die Tiere lernen konnte“, sagt Viktor Vasquez Plog, ein sechsjähriger Junge mit braunen Locken unter der grauen Schirmmütze.

Der Tod ist Teil des Lebens, finden viele Dänen. Und Kinder sollten ruhig wissen, wie ein Tier von innen aussieht. „Wir machen das seit 20 Jahren jedes Jahr in den Schulferien“, sagt Zoologin Nina Christensen. „Aber diesmal laufen die Medien völlig Amok.“ Selbst, als sie einmal Besuch von einer dänischen Prinzessin hatten, seien nicht so viele Leute da gewesen.

„Disneyfizierung“ von Zootieren

Grund dafür ist ein anderes totes Tier: das Giraffenjunge Marius, das der Kopenhagener Zoo im Februar 2014 tötete - und ebenfalls vor Kinderaugen auseinandernahm. Anschließend war Marius an die Löwen verfüttert worden. Zoodirektor Bengt Holst hatte das Vorgehen damals eisern verteidigt. Trotz Morddrohungen gegen ihn wehrte er sich gegen die „Disneyfizierung“ von Zootieren.

Wenn die Dänen keinen anderen Zoo im europäischen Zuchtprogramm finden, müssen die Tiere sterben - das ist auch in Deutschland gängige Praxis. In Odense passiert so etwas „weniger als zehnmal im Jahr“, schätzt Christensen. Als im Januar ein Tapir und ein Löwe getötet und öffentlich seziert wurden, blieb der Aufschrei aus. Anscheinend hatten die Medien davon einfach keinen Wind bekommen.