Berlin/Walbrzych. Echt oder nicht? In Walbrzych ist das egal. Für die Stadt im Südwesten Polens ist die Geschichte vom Goldzug längst ein Riesengeschäft.

Auf T-Shirts haben sie ihn schon drucken lassen, den „goldenen Zug“, wie sie ihn in Walbrzych nennen. Dieser Panzerzug der Nazis, der angeblich irgendwo im Nirgendwo stehen soll, nahe der Bahnstrecke zwischen den Städten Wroclaw und Jelenia Gora, gut versteckt unter der Erde Niederschlesiens, womöglich beladen mit Schätzen aller Art. Stoff wie aus einem Indiana-Jones-Film, ein modernes Loch Ness. Wohl zu schön, um wahr zu sein. Denn nach Tagen des Goldrauschs werden Zweifel laut.

„Das ist eine Fotomontage mit zwei Aufnahmen unterschiedlicher Auflösung“, sagte Wieslaw Nawrocki vom Institut für zerstörungsfreie Prüfverfahren in Krakau der Zeitung „Gazeta Wyborcza“. Was er kritisiert, ist der vermeintlich einzige Beweis für die Existenz des Goldzugs: ein Georadarbild, das die beiden selbsternannten Entdecker auf einer Internetseite präsentierten. Die Fälschung sei „mit bloßem Auge zu sehen, es reicht (die Aufnahme) zu vergrößern und die Pixel zu vergleichen“, so Nawrocki weiter.

Echt oder nicht? In Walbrzych ist das vorerst egal. Für die 120.000-Einwohner-Stadt im Südwesten Polens ist die Geschichte vom Goldzug längst ein Riesengeschäft. Dass ihn noch nie jemand wirklich gesehen hat, dass keine belastbaren Beweise für seine Existenz bekannt sind – es stört nicht wirklich.

Seit Mitte August tummeln sich Journalisten, Touristen, Schatzsucher in der niederschlesischen Provinz. Die Hotels der Stadt freuen sich über die Auslastung, doppelt und dreifach so hoch wie sonst. Es gibt neue Reiseführer, neue Erkundungstouren, natürlich zum angeblichen Fundort. Walbrzych nutzt die Gunst der Stunde.

Vermeintliche Entdecker zeigen sich im polnischen Fernsehen

Zu verdanken ist der Rummel Piotr Koper und Andreas Richter. Die beiden Hobby-Archäologen traten vor rund drei Wochen an die Verwaltung heran, erzählten von ihrer vermeintlichen Entdeckung. Erst blieben sie anonym, vergangene Woche lieferten sie dem polnischen Fernsehsender TVP ein im Internet viel beachtetes Schauspiel. „Wir besitzen Beweise“, beteuerten sie im Interview. Was sie nicht lieferten: Beweise.

Was die ganze Geschichte trotz aller Fantasterei am Leben erhält: Es gibt viele Puzzleteile, die sich zu einer hübschen Geschichte zusammenbauen lassen. Wenn man mag.

Die Nazis schafften in den letzten Kriegsmonaten eilig allerlei geraubte Schätze davon. Nicht wenige wurden von den Alliierten in unterirdischen Verstecken wiederentdeckt. Gerade in diese Zeit der Versteckerei fällt auch ein riesiges NS-Bauvorhaben in der Region um Walbrzych. Unter dem nahen Schloss Fürstenstein wurde ein riesiges Stollensystem gegraben. Ob es ein weiterer Führerbunker oder eine unterirdische Waffenschmiede werden sollte – das „Projekt Riese“ gibt bis heute Rätsel auf. Vor dem Eintreffen der Roten Armee wurden alle Pläne und Dokumente zerstört. Nur ein kleiner Teil der weitläufigen Tunnel-Anlage ist heute touristisch erschlossen.

Da verwundert es auch nicht, dass die Schatzsuche in Niederschlesien kein ganz neues Phänomen ist. Schon seit Jahrzehnten versuchen Hobbyhistoriker und -archäologen herauszufinden, ob an den alten Geschichten etwas dran ist. Angeblich soll Ende 1944 oder Anfang 1945 ein Zug mit dem „Schatz des Dritten Reiches“ aus Breslau aufgebrochen sein – Richtung Walbrzych. Die Lokomotive des gepanzerten Zuges soll zwölf Waggons gezogen haben, die jeweils bis zu 20 Tonnen Wertsachen enthielten. Selbst vom legendären Bernsteinzimmer ist die Rede. Die Geschichte hat ein blutiges Ende: Irgendwo auf der Strecke soll der Zug gestoppt worden sein, die deutschen Eisenbahner und Soldaten, die den Transport sicherten, wurden angeblich ermordet und durch SS-Truppen ersetzt. Was dann aus dem Zug wurde, ist unbekannt.

Immer mehr Zweifler gehen an die Öffentlichkeit

Freilich hat der Goldrausch nicht jeden in Niederschlesien erfasst. Immer mehr Kritiker gehen an die Öffentlichkeit, nicht nur Wieslaw Nawrocki. Der ehemalige Bergmann Tadeusz Slowikowski, der seit 50 Jahren nach dem Zug sucht, dessen Unterlagen den beiden Schatzgräbern den Hinweis auf den Fundort gegeben haben sollen, zweifelte gegenüber der „Gazeta Wyborcza“: „Gold war zu wertvoll, um es auf Gebieten zurückzulassen, die nach dem Krieg an Polen fielen“.

Wer am Ende Recht hat? Die Antwort wird noch auf sich warten lassen. Vorerst sichern Bahn-Angestellte und Polizei die Gegend rund um die vermeintliche Fundstelle. Experten werden zurate gezogen. Der Tourismusbranche in und rund um Walbrzych wird es recht sein.