Guatemala-Stadt . Otto Pérez Molina verliert Immunität: der Staatschef Guatemalas soll kriminelles Netzwerk geführt und Millionen unterschlagen haben.

Als die Stimmen ausgezählt sind, brandet vor dem Kongress in Guatemala-Stadt Jubel auf. Studenten, Hausfrauen, Unternehmer und Arbeiter feiern die Entscheidung der Parlamentarier, dem von Korruptionsvorwürfen belasteten Präsidenten Otto Pérez Molina die Immunität zu entziehen und damit den Weg für eine Strafverfolgung des Staatschefs frei zu machen.

„Wir sind der ganzen Korruption überdrüssig“, sagt Lucrecia Zapeta. „Wir sind endlich alle aufgewacht und kämpfen für ein besseres Land.“ Die Demonstranten schwenken die weiß-blaue Nationalflagge, auf ihre Gesichter und Hände haben sie „105 Stimmen“ geschrieben - die magische Zahl zur Aufhebung der Immunität.

Angesichts der schweren Vorwürfe der Ermittler und monatelangen Proteste hat Pérez jeden Rückhalt verloren. Alle 132 Abgeordneten stimmen am Dienstag dem Antrag zu, selbst die Anhänger des Regierungslagers. Ein Richter untersagt dem mächtigsten Mann Guatemalas kurz darauf, das Land zu verlassen. „Niemand steht über dem Gesetz. Die guatemaltekische Justiz hat bewiesen, dass sie gegen jeden vorgehen kann“, sagte Generalstaatsanwältin Thelma Aldana.

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft und der UN-Kommission gegen Straffreiheit (Cicig) stand Pérez an der Spitze des Korruptionsringes „La Línea“. Die Gruppe soll es Unternehmen gegen die Zahlung von Schmiergeld erlaubt haben, Waren am Zollamt vorbei in das mittelamerikanische Land zu importieren. Damit haben sie die Staatskasse wohl um Millionen Dollar an Einnahmen gebracht.

Die frühere Vizepräsidentin Roxana Baldetti sitzt wegen des Falls bereits in Untersuchungshaft. Jetzt zieht sich auch die Schlinge um den Hals von Pérez immer weiter zu: Nach der Aufhebung der Immunität könnten die Ermittler nun einen Haftbefehl gegen den Staatschef erwirken. Mit einer einstweiligen Verfügung will Pérez das Ermittlungsverfahren stoppen. Über den Antrag muss das Verfassungsgericht entscheiden.

„Das ist ein einzigartiger Moment in der guatemaltekischen Geschichte und ein Beispiel für die ganze Welt“, sagte die Politikwissenschaftlerin Jo-Marie Burt von der US-Universität George Mason der Deutschen Presse-Agentur. „Wir erleben einen historischen Kampf zwischen einem aufstrebenden demokratischen Guatemala und den alten politischen und wirtschaftlichen Eliten, die das Land entgegen den Interessen der einfachen Leute kontrollieren.“

Guatemala ist korrupt bis ins Mark. Zuletzt legte die Cicig einen Bericht vor, nach dem ein Großteil der Mittel der politischen Parteien aus der Korruption stammt. Allein das organisierte Verbrechen soll rund 25 Prozent der Parteienbudgets finanzieren. Politik, Wirtschaft und kriminelles Clans haben sich die größte Volkswirtschaft Mittelamerikas zur Beute gemacht.

Vor allem die hartnäckigen Ermittlungen der Cicig brachten den mafiösen Knoten schließlich zum Platzen. Mit dem eisenden Besen gingen die UN-Beamten rund um den Kolumbianer Iván Velázquez zuletzt durch die verkrusteten Strukturen des Landes und hoben eine ganze Reihe von kriminellen Netzwerken aus.

Angesichts der erdrückenden Beweise im Fall „La Línea“, darunter kompromittierende Telefonmitschnitte des Präsidenten, legte sich auch Generalstaatsanwältin Aldana, eigentlich eine Pérez-Vertraute, ordentlich ins Zeug. „Niemals hätte ich mir vorstellen können, ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten zu leiten, aber die Beweise haben es unausweichlich gemacht“, sagte sie. Selbst der mächtige Unternehmerverband und die einflussreiche katholische Kirche wandten sich zuletzt von dem Präsidenten ab.

Am kommenden Sonntag wird in Guatemala ein neuer Präsident gewählt. Edgar Gutiérrez von der Universität San Carlos wertet das entschlossene Vorgehen der Ermittler als positives Signal für die demokratische Zukunft des mittelamerikanischen Landes: „Das nimmt den Druck aus der Wahl. Die Leute gehen mit dem Gefühl des Triumphs, mit Selbstwertgefühl an die Urnen.“