Wiesbaden . Paare heiraten später, sie sind älter und reifer – und haben mehr Beziehungen hinter sich

Noch nie war es so leicht, sich scheiden zu lassen: Geschiedene werden nicht länger schief angesehen, viele Frauen verdienen ihr eigenes Geld, religiöse Verbote sind nur noch für wenige bindend, viele Paare haben keine Kinder, wegen derer man zusammenbleiben möchte. Und doch lassen sich immer weniger Paare scheiden, bleiben Paare immer länger zusammen. Wie geht das zusammen?

Im Jahr 2014 wurden 166.200 Ehen geschieden – weniger als im Vorjahr und weit weniger als vor zehn Jahren, wie Martin Conrad vom Statistischen Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden berichtete. In Hamburg wurden 2014 laut Bundesamt 3265 Ehen geschieden – etwas mehr als im Vorjahr (3199), aber deutlich weniger als zehn Jahre zuvor (4892).

Die Paare waren im Schnitt 14 Jahre und acht Monate verheiratet; vor 20 Jahren hielten Ehen im Durchschnitt nur zwölf Jahre. Aktuell werden 35 Prozent aller in einem Jahr geschlossenen Ehen im Laufe der folgenden 25 Jahre geschieden; vor zehn Jahren waren es 42 Prozent.

Also alles gut für die Institution Ehe? Nicht ganz. Weit weniger Paare als früher entscheiden sich, zu heiraten: Den Höchststand an Eheschließungen gab es 1988, als 535.000 Paare vor den Traualtar traten; 2013 gingen nur noch 374.000 Paare zum Standesamt. Und das ist gut so, finden Soziologen, Psychologen und Demografen. Ein Faktor, warum Ehen heute länger halten, ist, dass sie später geschlossen werden. „Der Partnerfindungsprozess dauert länger“, sagt Harald Rost vom Staatsinstitut für Familienforschung an der Uni Bamberg. Die Paare sind älter und reifer, sie haben mehr Beziehungen hinter sich und „warten mit der Ehe, bis sie sich relativ sicher sind“.

Die Psychologin Insa Fooken von der Universität Siegen sagt: „Dadurch, dass nicht-eheliches Zusammenleben fast als Norm gilt, muss man heutzutage fast eher begründen, warum man überhaupt noch heiratet.“ Die Professorin erläutert: „Meistens wird neu überlegt, wenn Familienplanung ansteht.“ Von den im Jahr 2014 geschiedenen Ehen hatte aber nur die Hälfte gemeinsame Kinder unter 18 Jahren.

Es muss also auch andere Gründe geben: „Es gibt romantische Lebensträume und menschliche Sehnsüchte, die befriedigt werden wollen“, sagt Fooken. Der Wunsch, mit einem Partner alt zu werden, sei oft ein Entscheidungskriterium für eine Ehe. „Gefühle sind aber flüchtig und insofern kann auch irgendwann realisiert werden, dass es eine Horrorvorstellung wäre, mit diesem Partner alt zu werden.“

Die Scheidung wird übrigens häufiger von der Frau als vom Mann eingereicht. „Es gibt immer noch das Muster, dass der Mann eher fremdgeht und die Frau dann irgendwann den Schlussstrich zieht“, sagt Fooken. „Das ist mittlerweile aber deutlich seltener als früher, da außereheliche Beziehungen heutzutage bei beiden Partnern einen Scheidungsgrund darstellen.“

Evelyn Grünheid vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden hat „Scheidungsbarrieren“ und „Scheidungsrisiken“ erforscht: e jünger die Partner, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung. Je höher Bildung und Einkommen der Frau, desto eher traut sie sich zu, nach der Trennung auf eigenen Beinen zu stehen. In Großstädten sind die Scheidungsraten höher als auf dem Land.

Eine wichtige Haltekraft für Ehen sind Kinder. Sie sind, wenn das Klima zwischen Mann und Frau schlechter wird, das Zünglein an der Waage: „Kinder können die Ehequalität verschlechtern, weil sie Ressourcen verbrauchen, die für die Partnerschaft fehlen“, sagt Grünheid. Andererseits seien Kinder die größte Scheidungsbarriere – eine Hürde, die umso höher ist, je mehr Kinder vorhanden sind.