Berlin . Deutsche Ermittler kämpfen gegen neue Formen der Kriminalität, berichtet Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts.

Holger Münch ist seit sieben Monaten Deutschlands oberster Polizist. Der 53-jährige Bremer hat es nicht bereut, der neue Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) zu werden. Die Arbeit macht ihm Spaß, sagt er. Nur manchmal ärgert es ihn, wenn er darüber nachdenkt, dass nicht wenige Polizeidienstellen in Deutschland ein sichergestelltes Handy auf den Kopierer legen müssen, um ein digitales Bild für die Akten zu erhalten. Mehr Technik geht dann eben immer noch nicht.

Dabei wird Münch doch der BKA-Chef 4.0 sein. Einer, der es mit ganz neuen Spielarten von Kriminalität zu tun bekommt. Mit Cyber-Crime wie bei Sabotageangriffen auf Bankkonten, Kraftwerken, Hochöfen oder den Bundestag. Mit Absprachen von Tätern, die sie per Skype-Telefonie machen. Vor allem aber mit dem Schwarzmarkt des dritten Jahrtausends. Das ist das sogenannte Darknet.

Das dunkle Netz, das sich allen staatlichen Ermittlungen entziehen will, sei „zwischenzeitlich einer der maßgeblichen Räume für alle Arten von Kriminalität“, sagt Münch. Dort gebe es – jenseits von Einkaufsportalen wie E-Bay, Amazon und Zalando im offenen Netz – verschlüsselte „Angebote von Kinderpornografie über Waffen, Rauschgift bis zur Schadsoftware“.

Mit Vergewaltigungs-Bildern wird dort gehandelt, von denen die Ermittler nicht einmal wissen, ob sie im Einzelfall gestellt sind oder eben einen realen Missbrauch zeigen. In Amerika sind schon Auftragskiller im digitalen Warenkorb vermittelt worden. US-Gerichte haben die Gefahr erkannt und gehen knallhart gegen die Betreiber der Netzwerke vor. Ross Ulbricht, Gründer der Drogenhandelsplattform Silk Road, ist jetzt zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er hatte zwei Millionen Dollar umgesetzt. Pro Monat.

Die Herausforderung wird in der Wiesbadener BKA-Zentrale sehr ernst genommen. Über 140 Mitarbeiter beschäftigen sich dort mit der Aufdeckung von Cyber-Kriminalität. Sie stehen 20 solcher Netzwerke gegenüber, die nach vorliegenden Erkenntnissen in Deutschland operieren.

Eine neue Tätergeneration mit neuen technischen Kompetenzen

Deren Nutzer gehen „konspirativ“ vor, sagt Münch. Sie kommunizieren mit Spitznamen wie Phish oder m400, nutzen Anonymisierungsdienste, zahlen in der digitalen Kunstwährung Bitcoin und verschlüsseln ihre Botschaften, Angebote und Kaufverhandlungen auf eine Weise, die Fahnder oft verzweifeln lassen. Bis zu 70 Prozent, so die derzeit bittere Erkenntnis im BKA, sind kaum zu knacken. Es sei eine neue Tätergeneration. Mit neuen technischen Kompetenzen.

Die verdient damit reales Geld: Für die Beschaffung eines illegalen Kontos werden schon mal 3000 Euro genommen. Drogen entsprechen dem Preis im normalen Straßenhandel oder sie sind etwas teurer, in der Substanz aber oft reiner.

Dabei sind die mit dem Darknet verbundenen Herausforderungen nicht einmal das Ende der absehbaren Entwicklung. Täter 4.0 werden ihre Verbrechen nicht nur besser tarnen, sondern ihre Aktivitäten auch anders aufteilen. BKA-Chef Münch spricht von „Crime-as-a-service“ (Kriminalität als Dienstleistung) als dem künftigen Geschäftsmodell von Mafia-Paten und Unterwelt: Handlangerdienste, Instrumente und Angreifer-Software zur Begehung von Straftaten werden zugekauft.

Der Osnabrücker Strafrechtler Professor Arndt Sinn hat sich damit ausführlich beschäftigt. Sinn: „Crime-as-a-service bedeutet, dass die traditionellen Strukturen krimineller Netzwerke durch Modelle von individuellen Dienstleistungen abgelöst werden.“ Gruppierungen der Organisierten Kriminalität könnten so über das Internet anonymer Straftaten begehen, sagt Sinn.

Ein Straftaten-Katalog der europäischen Polizeibehörde Europol, an dem Sinn maßgeblich mitgearbeitet hat, nennt Geschäftsfelder, die das besonders treffen wird: Logistik- und Transportunternehmen, die ihre Prozesse zunehmend digital steuern und dabei riskieren, dass ganze Warenströme durch Manipulationen „umgeleitet“ werden.

Und die wegen der alternden Gesellschaft boomenden Branchen Gesundheit und Arzneien, die für Fälschungen und illegale Lieferungen anfällig sein werden. Sinn schließt sogar nicht aus, dass am Ende „hybride“ Täter das Netz für Arbeit auf sehr unterschiedlichen Feldern nutzen könnten: „Am Tag Terrorist und in der Nacht Zigarettenschmuggler.“

Das alles werde den Ermittlungsbehörden große Probleme bereiten, warnt Sinn. Sie müssten mehr als heute „die schwarzen Schafe von den grauen und den weißen unterscheiden“. Einerseits. Andererseits: Auch der Polizei könne einiges leichter fallen. Sie könne den „Dienstleistern“ von Straftaten selbst Deals anbieten. Einen Strafnachlass über eine Kronzeugenregelung zum Beispiel – wenn die Verbrecher bereit sind, auszupacken.