Charleston. 21-Jährigernach Schüssen auf Schwarze in Charleston gefasst. Die Polizei: „Rassenhass“

Ein Spaziergang entlang der Calhoun Street in Charleston gehörte bislang zu den erhabensten Erlebnissen, die Amerikas bewegter Süden für Besucher bereithält. Die Fassaden der penibel restaurierten Häuser im unter Denkmalschutz stehenden Altstadtkern sind verziert mit Balustraden, schmiedeeisernen Balkonen, großzügigen Treppenaufgängen und korinthischen Säulen. Aus den Kneipen dringt schon tagsüber Ragtime-Musik, die Restaurants bieten scharf gewürzte Shrimps und frittierte grüne Tomaten.

Seit Mittwochabend ist die Stadt im Bundesstaat South Carolina wie gelähmt, und jede Leichtigkeit ist verflogen. Ein weißer Mann in Bluejeans, Timberland-Stiefeln und grauem ­Sweatshirt betrat gegen 21 Uhr die historische „Emmanuel African Methodist Episcopal“-Kirche und feuerte um sich. Neun zum Bibelstudium versammelte Gläubige, allesamt Schwarze, sind tot, mindestens acht schwer verletzt.

Polizei geht von „Hass-Verbrechen“ aus

Der Täter flüchtet und wird später festgenommen. Obwohl über die Motive des als Dylann Storm Roof (21) aus Lexington/Kentucky identifizierten Todesschützen bisher nichts bekannt ist, geht die Polizei von einem rassistisch motivierten „Hass-Verbrechen“ aus. An seinen Kleidungsstücken wurden unter anderem Flaggen und Abzeichen der weißen Apartheid-Bewegung in Südafrika gefunden. Polizeichef Gregory Mullen kämpfte Donnerstag früh mit den Tränen: „Dieser Typ hat unaussprechliches Leid über Charleston gebracht.“ Bürgermeister Joseph P. Riley rief die Stadt-Gesellschaft auf, sich in Trauer und Demut zu vereinen. „Der einzige Grund, dass jemand in eine Kirche geht und Menschen während des Gebets erschießt, ist Hass“, sagte er.

Trauer und Entsetzen in Charleston sind unermesslich
Trauer und Entsetzen in Charleston sind unermesslich © dpa | Richard Ellis

Vergleiche mit Schulmassaker von Columbine

Cornell Brooks, Präsident der einflussreichen Schwarzen-Organisation NAACP, verglich die Tragödie mit dem Schulmassaker von Columbine (April 1999, 15 Tote) und erneuerte die Forderung nach schärferen Waffengesetzen. Kurz nach Bekanntwerden der Tragödie gingen Hunderte Menschen in Charleston auf die Straße: „Wenn wir nicht mehr in der Kirche vor dem Teufel sicher sind“, sagte die 68-jährige Amelia einem Fernseh-Reporter unter Tränen, „wo dann?“. Mit FBI-Hilfe hatten die örtlichen Sicherheitskräfte ein großes Fahndungsnetz ausgelegt. Das Justizministerium in Washington hat sich eingeschaltet.

Auf Handzetteln wurden vor der Festnahme des mutmaßlichen Schützen Aufnahmen einer Überwachungskamera gedruckt, die den schmächtig aussehenden Jungen mit dunkelblonden Haaren von 21 Jahren zeigen, der gerade die Tür zur ältesten afroamerikanischen Methodisten-Kirche im Süden der USA, Baujahr 1818, aufstößt. Gestern Mittag erkannte ein Onkel auf den Fahndungsplakaten seinen Neffen und verständigte die Polizei.

Täter ging äußerst heimktückisch vor

Wie heimtückisch der Täter vorging, legen erste Aussagen von Augenzeugen nahe, die im Gegensatz zu drei Männern und sechs Frauen überlebten. Danach saß der Todesschütze fast eine Stunde lang unauffällig unter den zwölf von Pastor Clementa Pinckney betreuten Kirchgängern, bevor er die Waffe zückte. Er ließ offenbar gezielt drei Menschen am Leben, damit „die Welt davon erfährt“, wie aus Ermittlerkreisen durchsickerte. Pinckney, 41 Jahre alt, war außer seinem Amt als Seelsorger Senator im Landesparlament von South Carolina.

Die Tat ereignete sich wenige Stunden nach einem Wahlkampfauftritt der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Jeb Bush, ihr republikanischer Kontrahent, sagt seinen für Donnerstag geplanten Auftritt in Charleston ab.