Mainz. Wie konnten die sexuellen Übergriffe so lange unbemerkt bleiben? 55 Kinder einer Kita sollen betroffen sein.

Nach der Serie sexueller Übergriffe unter Kindern in einer katholischen Kita in Mainz läuft die Betreuung von Eltern und Kindern an. Der Kinderschutzbund richtete dazu einen Krisenstab ein. „Eine Handvoll hat hier das Beratungsangebot in Anspruch genommen“, sagte Geschäftsführer Uwe Hinze am Freitag. Auch die Uniklinik und eine Fachklinik bieten Betreuung an.

In der Kita soll es über längere Zeit schwere sexuelle Übergriffe gegeben haben. Das Bistum Mainz berichtete am Donnerstag von Erpressung und Gewalt, ein Kind soll eine Verletzung im Genitalbereich erlitten haben. Fast alle der 55 Kinder sollen in irgendeiner Art betroffen sein. Das Bistum beruft sich auf Aussagen der Eltern. Es schloss die Kita und kündigte allen sieben Mitarbeitern.

„Wir können uns kaum erklären, wie diese Vorfälle über einen langen Zeitraum unbemerkt bleiben konnten“, sagte Generalvikar Prälat Dietmar Giebelmann am Donnerstag.

Obwohl die Erzieher erste Hinweise schon vor Monaten erhalten hätten, sei nichts nach außen gedrungen - es habe sich um ein geschlossenes System gehandelt. Ein System, das nun offenbar traumatisierte Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren hinterlassen hat. Ein System, das vergangene Woche, als die Pfarrei von den Vorfällen erfahren haben will, in einer Art Hauruck-Aktion schlagartig abgeschaltet wurde. Die Kita im Mainzer Stadtteil Weisenau ist geschlossen, den sieben Mitarbeitern wurde fristlos gekündigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen möglicher Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflichten.

„Wie es geschehen kann, dass ein Gesamtgeist einer Einrichtung so umkippt und so im Grunde genommen verroht, weiß ich auch nicht“, sagte Giebelmann. Wenn es darum geht, was genau in der Kita „Mariä Königin“ vorgefallen ist, fallen nicht nur ihm die Worte schwer. Er nannte es „Perversitäten sexueller Gewalt“. Er beschrieb Handlungen, die mancher sich nur im Fall harter Pornografie vorstellen kann, sowie üble Gewaltandrohungen.

Michael Huss, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Unimedizin Mainz, kennt den Katalog der Vorfälle. Auch er kann das Ausmaß kaum fassen. Das gehe weit über das hinaus, was man unter Doktorspielen kenne. „Dieses Verhalten ist nicht normal. Auch wenn ich meine Berufsjahre Revue passieren lasse, fällt das eindeutig aus dem Rahmen.“

Für den Mediziner stellt sich angesichts der Berichte die Frage, ob Kinder in der Kita bereits Missbrauchserfahrungen gemacht hatten. Oder ob sie Pornofilme sahen. „Das Wichtigste für Eltern ist, den Kindern nun einen wirksamen Schutz zu geben und für sie da zu sein. Denn dieser Schutz hat offensichtlich in der Kita gefehlt“, sagte Huss.

Die Chronik der Ereignisse geht laut dem Bistum so: Erst am Montag der vergangenen Woche habe die Pfarrei, die der Träger der Kita ist, von den sexuellen Übergriffen erfahren. Der Brief einer Mutter sei beim Pfarrer gelandet. Vorher sollen alle Hinweise nur bis zu den Erziehern und der Kita-Leitung vorgedrungen sein - ohne Konsequenzen. Noch am Abend sei dann entschieden worden, das Haus zu schließen. An diesem Mittwoch wurde der Fall schließlich eine großen Öffentlichkeit bekannt, als die „Allgemeine Zeitung“ aus Mainz darüber berichtete.