Mannheim. Laut Untersuchungsbericht haben im Uniklinikum die Ärzte von 2007 bis 2014 mit unsauberen Bestecken operiert

In dem Krankenhaus möchte man nicht gelegen haben – schon gar nicht auf dem Operationstisch. Zehntausende von Patienten aber sind im Uniklinikum Mannheim unter die Messer gekommen. Sie haben nichts geahnt von den Gefahren, die jetzt ein interner Untersuchungsbericht enthüllt. Der Bericht liegt der Funke-Mediengruppe vor.

Danach hätte die Klinik jahrelang Gesetze und Vorschriften missachtet. Von 2007 bis 2014 sollen Ärzte mit unsauberen Bestecken operiert haben. Mit Instrumenten, die niemals hätten zum Einsatz kommen dürfen. Die Klinikleitung habe die Risiken gekannt, aber nichts dagegen getan.

In der Kommission saßen Ärzte, Juristen, Medizintechniker und Wirtschaftsprüfer. Sie gingen den Ursachen des Hygieneskandals nach, der die Uniklinik seit Oktober 2014 erschüttert. Damals hatte eine anonyme Anzeige die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Die ermittelt wegen Verstoßes gegen das Medizinproduktegesetz und gegen Hygienevorschriften.

Gemessen an der Dunkelziffer potenzieller Opfer, beschreibt der Kommissionsbericht den wohl größten Hygieneskandal in einem deutschen Krankenhaus. Nie zuvor wären mehr Patienten durch Mängel gefährdet worden, die Verantwortlichen lange bekannt gewesen wären, aber aus Kostengründen nicht behoben wurden. Das ganze Ausmaß der Affäre ist nicht absehbar. Widersprüchliche Zahlen erschweren eine Einschätzung. Angaben der Uniklinik über das jährliche OP-Aufkommen schwanken zwischen 20.000 und über 50.000 Fällen. Hochgerechnet auf mindestens sieben Jahre Hygiene-Notstand hieße das: 140.000 bis 350.000 Operationen könnten mit unsauberen Skalpellen, Scheren und Pinzetten gelaufen sein.

Hätte die Staatsanwaltschaft keinen Tipp bekommen – es wäre wohl weitergegangen wie seit 2002. Schon damals kam im Regierungspräsidium Karlsruhe die Frage auf: Wie gut ist das Sterilgut in Mannheim? Alles laufe nach Vorschrift, meldete die Uniklinik. Fünf Jahre später erkannte die Karlsruher Aufsichtsbehörde, „dass diese Angabe nicht zutreffend war“. Ein Begehungsprotokoll von 2007 passt zu einem Rundgang durchs Medizinmuseum: „Die meisten Geräte sind zwischen zehn und 20 Jahre alt, sind nicht validierfähig und entsprechen nicht mehr dem Stand der Technik.“ Die Prüfer notierten: zu wenig und zu schlecht ausgebildetes Personal. Und gravierende bauliche Defizite, alles zulasten der Hygiene.

Die Klinik versprach, „die notwendigen Erneuerungen in Eigenregie vorzunehmen“. Ein neues Gebäude wurde hochgezogen, doch besser wurde es nicht. Mal fehlte im Operationssaal das gesamte OP-Besteck, dann einzelne Instrumente, ein anderes Mal klebten noch Gewebereste von der letzten OP am eingeschweißten Skalpell. Von Mitte 2013 bis Oktober 2014 wurde die Klinikleitung auf „eine direkte Patientengefährdung“ durch Hygienemängel und Versorgungsengpässe hingewiesen. Es geschah: nichts, was die Gefahr beseitigt hätte.

Laut Klinik sind die Patienten derzeit „sicher aufgehoben“.

Die Innenrevision beschäftigte sich mit Geldfragen. Wirtschaftsprüfer bestätigten, „dass bei den jährlichen Risikoberichten die Priorität ausschließlich auf dem Bereich Finanzen lag; eine Risikobewertung anderer Bereiche wurde nicht vertieft“. Anordnungen der Aufsichtsbehörde verpufften. Ordnungsbehördliche Verfügungen zu Maßnahmen, die „sofort“ umzusetzen seien, wurden ignoriert. „Die Nichtreaktion auf die besorgniserregenden Verfügungen des Regierungspräsidiums“ verblüfft die Kommission. Zwei Drittel aller OP-Bestecke des Klinikums wurden inzwischen verschrottet. Die Aufbereitung des Sterilguts obliegt nun dem externen Dienstleister Orgamed.

Das reiche nicht, mahnt die Kommission. Geld müsse fließen – für zeitgemäße Technik, permanente Kontrollen, zusätzliches und qualifiziertes Personal, professionelle Abläufe, ein sensibles Risikomanagement. Vor allem aber brauche es „eine neue Unternehmenskultur mit der notwendigen Transparenz“. Die Hygienegesetze „sollten bis Ende 2016 vollständig erfüllt werden“, rät die Kommission.

Laut Klinik sind die Patienten derzeit „sicher aufgehoben“.