Kathmandu . Die Hilfe läuft nach dem Erdbeben auf Hochtouren. Doch immer wieder gibt es Probleme. Mehr als 6200 Opfer

Doreen Fiedler

Zunächst klingt die Geschichte wie das typische Reise-Klischee aus einem armen Land: „Obwohl die Menschen nichts mehr hatten, haben sie uns zum Mittagessen eingeladen“, erzählt Jordane Schönfelder. Doch der 25-jährige Deutsche ist in Nepal, genauer gesagt in Saurpani, ganz in der Nähe des Epizentrums des Erdbebens vom vergangenen Wochenende. Viele Menschen dort haben nichts mehr: Häuser haben sich in Steinhaufen mit einem Wellblechdach darauf verwandelt, Brücken sind eingestürzt, und auf den schmalen Wegen liegen zahlreiche Münzen mit Reis darum herum – Zeichen, dass dort Menschen gestorben sind.

Das Erdbeben der Stärke 7,8 brachte in großen Teilen des Himalaja Tod und Zerstörung. Mehr als 6200 Tote sind zu beklagen, doch die Zahl kann weiter steigen. In viele abgelegene Gebiete von Nepal – einem bergigen Land mit nur wenigen Straßen – kommt tagelang niemand. Schönfelder und ein paar andere Freiwillige packen deswegen ihre Rucksäcke voll mit Essen, Wasser, Kleidung, Zelten und Medikamenten und wandern in die Dörfer oberhalb von Saurpani. Der Deutsche ist gerührt von der Dankbarkeit und Großherzigkeit, die ihm dort entgegenschlägt. „Einer Frau haben wir eine Flasche Wasser und Brot gegeben, und als erstes hat sie das Brot geteilt und uns eine Hälfte zurückgereicht.“ Die Gastfreundschaft vieler Nepalesen ist auch nach der Katastrophe geblieben.

Anderes aber wird auf den Kopf gestellt. Zahlreiche Menschen flohen in den vergangenen Tagen aus teils völlig zerstörten Dörfern in die Hauptstadt. Kathmandu ist mit seinen rund zwei Millionen Bewohnern die einzige Großstadt des 21-Millionen-Einwohner-Landes. Doch auch das Zentrum ist schwer getroffen: Viele Gebäude in der Altstadt hielten den Erschütterungen nicht stand, und selbst moderne Fünf-Sterne-Hotels zeigen Risse. Zu Hunderttausenden waren Menschen in weniger gebeutelte Gegenden geflohen. Großfamilien, Nachbarschaften oder Dorfgemeinschaften helfen dort, wo Staat und Organisationen mit ihren Gütern nicht ankommen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO waren am Freitag alle Tankstellen geöffnet. Tausende Anwohner, die die ersten Nächte aus Angst vor Nachbeben im Freien verbracht hatten, kehrten wieder in ihre Häuser zurück. Die Krankenhäuser seien gut vorbereitet gewesen und kämen mit der Notlage zurecht. Es fehle aber an Medizin und Geräten.

Die Suche nach Vermissten geht unterdessen weiter. Nach EU-Angaben gibt es noch keine Lebenszeichen von etwa tausend Europäern. Die meisten der Betroffenen seien zum Wandern im abgelegenen Langtang-Gebirge im Himalaja unterwegs gewesen. Über ihr Schicksal sei nichts bekannt. Auch die Familien zweier verschollener Nepal-Urlauberinnen aus Niedersachsen bangen noch immer um die beiden jungen Frauen. Die 20-jährige Leonie und ihre Freundin Nina wollten zu einer Wanderung ins Langtang-Tal, das vom Erdbeben stark betroffen ist.Über Facebook und Twitter verfolgen die Eltern die aktuellen Nachrichten – dort gebe es „gelegentlich handgeschriebene, abfotografierte Listen“, sagte Leonies Mutter Anja Elsner am Freitag in Lehrte bei Hannover. Vom Auswärtigen Amt dagegen kämen keine Informationen – nur, dass die beiden nicht gefunden worden seien.

In Nepal läuft die internationale Hilfe mittlerweile auf Hochtouren. Das, erzählen Betroffene, war vor einer Woche noch ganz anders. Die ersten beiden Tage nach dem Beben waren von Unsicherheit und Instabilität geprägt, von Schock und Trauer. Und vom Versagen der nepalesischen Behörden beim Krisenmanagement. Dutzende Nachbeben verängstigten die Menschen zusätzlich.

Kaum einer in Nepal lässt derzeit ein gutes Haar an der politischen Klasse: zu bürokratisch, zu langsam oder gleich völlig abwesend. Premierminister Sushil Koirala, 75 Jahre alt, strotzte bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten ebenfalls nicht vor Tatkraft. Seit 2002 gab es keine Wahlen mehr auf lokaler Ebene – alle Posten sind parteipolitisch von oben besetzt. Die Regierung hatte laut Asien-Experten schon vorher keinen guten Ruf im Land. Schließlich schafften es die Abgeordneten seit sieben Jahren nicht, eine Verfassung zu schreiben. Die Vetternwirtschaft soll durch die große Menge an Hilfsgütern und Geld aus dem Ausland in den vergangenen Tagen sogar zugenommen haben. Auch die Deutschen spendeten Millionen, allerdings meist direkt an die Hilfsorganisationen.

Die US-Erdbebenwarte schätzt, dass der Wiederaufbau bis zu zehn Milliarden US-Dollar kosten werde. Dabei beträgt das Bruttoinlandsprodukt Nepals laut CIA World Factbook nur 19,2 Milliarden Dollar. Ehe das wahre Ausmaß des Schadens bekannt wird, werden noch Wochen vergehen. Dann aber könnte es auch positive Auswirkungen auf die Wirtschaft geben, sagte der Nepal-Landesbüroleiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Roland Steurer. „Es werden sehr viele Materialien und Handwerker wie etwa Maurer gebraucht.“

Ohnehin seien Nepals Bewohner, glaubt so mancher, wie die Berge: belastbar und hart im Nehmen. Aus dem Himalaja-Land kommen schließlich sowohl die einst gefürchteten und noch immer weltweit geachteten Gurkha-Soldaten als auch die Sherpa-Bergführer. „Wir werden wieder aufstehen“, sagt Planungskommissionsmitglied Ganesh Gurung. Die Hoffnung von Menschen wie Gurung werden bestärkt durch überraschende Nachrichten: Fünf Tage nach dem Erdbeben retten Helfer in Kathmandu zwei Überlebende aus den Trümmern. Der 15 Jahre alte Junge hat keine größeren Verletzungen erlitten. Er wurde aus einem eingestürzten Gästehaus gezogen. Wenige Straßen weiter wurde später die Küchenhelferin Krishna Devi aus den Ruinen eines eingestürzten Hauses befreit. Die Frau liege auf der Intensivstation.