Kaarst . „Geschmackloses Verhalten“: NRW versperrt Neugierigen auf Autobahnen den Blick auf die Opfer

„Stau durch Gaffer“, „Schaulustige behindern Rettungskräfte“, „Beamte schreiben Dutzende Anzeigen gegen Gaffer“ – das sind Polizeimeldungen der vergangenen Wochen. Das Verhalten sei ein „Problem, das erschreckende Ausmaße angenommen hat“, sagt Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) am Freitag in Kaarst bei Düsseldorf. Als erstes Bundesland setzt NRW nun nach Unfällen auf Autobahnen mobile Sichtschutzwände gegen Schaulustige ein.

„Das Smartphone gehört nicht auf Unfallopfer gerichtet“, kritisiert der Minister und blickt düster. Was sich an Unfallstellen landauf, landab abspielt, sei „ein Phänomen, das mit der natürlichen Neugier nichts mehr zu tun hat“: „Es gibt eine epidemiehafte Foto- und Selfie-Manie auf unseren Straßen“. Rettungskräfte berichten: Die meist männlichen Gaffer filmen Verletzte und sogar Sterbende, stellen die Aufnahmen ins Internet. Groschek: Das Verhalten sei „geschmacklos“ und „beschränkt“. Fast eine halbe Million Euro aus Bundesmitteln kostet die Abwehrmaßnahme. „Wir geben den Opfern ein Stück Würde zurück“, sagt der Verkehrsminister und sieht das Geld gut investiert.

Die Idee kommt aus den Niederlanden, wo die Wände seit vielen Jahren im Einsatz sind. In einem Pilotversuch, der ein Jahr dauerte, war im Raum Düsseldorf unter den kritischen Augen der Polizei beobachtet worden, dass sich Staus auflösen und der Verkehr wieder fließt, sobald die Wände aufgebaut sind. Das bestätigt Jürgen Bongartz, der den Versuch für die Autobahnpolizei begleitet hat. Die 2,10 Meter hohen Wände sind mit dunkelgrüner Plane bespannt und haben quadratische und runde Klappen, durch die der Wind rauschen kann, damit er sie nicht umreißt. Das funktioniert allerdings nur bis Windstärke 5. Jeweils 100 Meter Sichtschutz sind auf einem Anhänger untergebracht. Zwölf der Anhänger sind bei Autobahnmeistereien stationiert.

Jede Wand werde voraussichtlich sieben bis acht Mal im Jahr zum Einsatz kommen. Je nach Unfallort dauere es bis zu 100 Minuten, ehe der Schutz herbeigeschafft und aufgebaut sei. Ein fünf Kilometer langer Stau auf einer Autobahn mit dreieinhalb Stunden Dauer verursache durch den Zeitverlust einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 200.000 Euro.