Darmstadt. Angeklagter: „Ich habe ihr eine Ohrfeige gegeben. Dann ist sie umgefallen.“ Die Studentin fiel ins Koma und starb

Kommt diese Entschuldigung von Herzen? Sind die Tränen und Emotionen echt, die Sanel M. während seiner zwei, drei Entschuldigungssätze an die Familie und das Gericht scheinbar kaum mehr unterdrücken kann? Oder ist der Auftritt im Gegenteil sorgfältig eingeübt, womöglich sogar gemeinsam mit dem Anwalt und mit einer Menge guter juristischer Ratschläge im Gepäck?

Wie die Familie der getöteten ­Tugce Albayrak Sanel M.‘s Einlassung zum Prozessauftakt empfunden habe, wird Macit Karaahmetoglu immer wieder gefragt an diesem Morgen. Der Jurist vertritt in der Verhandlung gegen den serbischen Staatsbürger Sanel M. die Mutter der toten Lehramtsstudentin und einen ihrer Brüder. Tugces Eltern äußern sich während des Prozesses nicht vor der Presse.

Doch Anwalt Karaahmetoglu macht keinen Hehl aus seiner Skepsis. „Floskelhaft“ sei ihm vorgekommen, was Sanel M. von sich gegeben habe, und „viel zu kurz“: „Der Angeklagte hat sich nicht wirklich auseinandergesetzt mit der Tat“, urteilt der Rechtsanwalt. „Seien wir doch mal ehrlich: Das Erste, was jeder Strafverteidiger seinem Mandaten rät, ist zu sagen, wie sehr ihm alles leid tut.“ Schließlich spielt es beim Strafmaß eine entscheidende Rolle, ob sich ein Angeklagter reumütig und einsichtig zeigt. „Und dass er tatsächlich emotional bewegt ist, liegt ja auf der Hand. Es geht ja für ihn um sehr viel.“

Die Tat selbst zu leugnen, hätte für Sanel M. wenig Sinn gehabt. Denn es gibt nicht nur massenweise Augenzeugen für das, was in der Nacht zum 15. November 2014 auf dem Parkplatz des Offenbacher McDonald’s passiert ist, sondern auch Videoaufnahmen von zwei Überwachungskameras. Und folgerichtig zeigte sich der 18-Jährige reumütig, aber zunächst sehr verschlossen beim Auftakt der Verhandlung, an deren Ende Richter Jens Aßling entscheiden wird: Muss Sanel M. in Haft, weil er vor fünf Monaten auf Tugce Albayrak eingeschlagen und ihren Tod verursacht haben soll, oder bekommt er wegen Körperverletzung mit Todesfolge eine Bewährungsstrafe?

M. ließ sich zwar zum „Kerngeschehen“ ein, wie Juristen das ausdrücken. Über den Tathergang selbst sagte er zumindest bisher nichts. Er gab nur zu, die junge Frau geschlagen zu haben. „Ich habe in der Tatnacht der Tugce eine Ohrfeige gegeben. Dann ist sie umgefallen.“ Es tue ihm „unendlich leid“, was er getan habe. Warum er sich trotz aller Mühen eines Freundes nicht hatte abhalten lassen, auf Tugce loszugehen, blieb offen. Statt dessen tat er sein Vorhaben kund, „auf jeden Fall eine Ausbildung zu machen und zu arbeiten“.

Außerdem betonte M. vorsorglich: „Ich habe niemals mit dem Tod von Tugce gerechnet.“ Der Satz ist von einiger Bedeutung, und es liegt nahe, dass er M. von dessen Rechtsbeistand Stephan Kuhn ans Herz gelegt wurde. Denn in der Anklage heißt es, M. hätte erkennen können, dass sein Schlag mit der Gefahr einer tödlichen Verletzung verbunden war. Sollte die Kammer am Landgericht Darmstadt dieser Annahme der Staatsanwaltschaft folgen, dürfte die Strafe schärfer ausfallen.

Jener Sanel M., der mit hängenden Schultern und das Gesicht hinter einem großen Briefumschlag versteckt den Gerichtssaal betritt, hat so gar nichts gemeinsam mit dem kraftstrotzenden, selbstsicher grienenden Kerl, als der sich Sanel einst auf seiner Facebook-Seite präsentierte. Der junge Mann scheint wie geschrumpft in fünf Monaten Untersuchungshaft, die Haare sind nicht länger ausrasiert an den Seiten, er wirkt sehr jung, fast zart in dem weißen T-Shirt. Immer wieder legt ihm sein Anwalt den Arm um die Schulter und redet auf ihn ein, doch Sanel M. reagiert wenig. Stockend erzählt er, wie er von Schule zu Schule wechselte, immer wieder abbrach oder sitzenblieb, obwohl er, ein gebürtiger Offenbacher, zunächst sogar eine Gymnasialempfehlung gehabt hatte.

Sein Vater, mit dem er sich nicht gut versteht, hatte ihn Abitur machen lassen wollen, gegen seinen Willen. Das ging schief. Erst nach vielem Hin und Her schaffte er den Hauptschulabschluss, und fünf Monate nach Schulende, im November, hatte er immer noch keine Lehrstelle. Er sei gerade dabei gewesen, sich zu bewerben, sagt Sanel M. „Am Montag nach der Tatnacht hätte ich ein Bewerbungsgespräch bei der Deutschen Post gehabt.“

Nur als er später gefragt wird, wie er es mit dem Alkohol halte, wirkt M. älter, abgeklärter. Ja, Alkohol habe er „bei besonderen Anlässen“ getrunken, mit seinen Freunden habe er sich dann eine Flasche Whisky bestellt oder auch mal zwei oder drei. Unter Alkoholeinfluss sei er leichter reizbar, streitlustiger, räumt er ein.

Zehn Verhandlungstage hat Richter Jens Aßling angesetzt. Nach den Emotionen, die der Tod der Studentin erzeugt hatte, will das Gericht alles richtig machen, Experten und Zeugen zu Wort kommen lassen und genau klären, wer in welchem Maß zum tragischen Geschehen beigetragen hat.