Berlin. Studie: Viermal mehr Unfälle mit lebensgefährlichen Verletzungen als Weihnachten

Für gewöhnlich gilt die „dunkle Jahreszeit“ als besonders gefährliche Periode auf deutschen Straßen: Lange Dunkelheit, schlechte Sichtverhältnisse, Eis und Schnee – dann gibt es besonders viele Unfälle lautet die landläufige Meinung. Doch das ist ein Irrglaube. Eine neue Studie zeigt: Der gefährlichste Tag des Jahres mit den meisten lebensgefährlichen Verletzungen ist der 1. Mai.

An diesem Tag werden bundesweit die meisten Schwerverletzten in Krankenhäuser eingeliefert, sagt der Statistiker Rolf Lefering von der Uni Witten/Herdecke. Er hat für die Studie die Daten von knapp 31.600 Unfällen mit lebensgefährlichen Verletzungen ausgewertet. Die Daten stammen aus dem TraumaRegister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, in der mehr als 150.000 Einzelfälle registriert sind.

„Der 1. Mai ist der Tag, an dem der Frühling viele Menschen nach draußen lockt“, erklärt der Professor für Versorgungsforschung in der Operativen Medizin. Viele Fußgänger seien unterwegs, und es werde gern auch mal etwas tiefer ins Glas geschaut. Besonders gefährdet sind Motorradfahrer, die auffallend häufig in schwere Unfälle verwickelt sind: „Sie drehen dann wieder die ersten Runden nach dem Winter, oft in großen Gruppen, in denen jeder zeigen will, was er noch drauf hat.“

Motorräder würden oft mit Saisonzulassungen gefahren, weiß Verkehrspsychologe Peter Kiegeland: „Dann ist der 1. Mai der erste Tag, an dem man mit dem Motorrad wieder unterwegs sein darf.“ Nach der Winterpause hätten Fahrer aber oft die Maschine nicht richtig im Griff. „Zudem ist man bei gutem Wetter euphorisch, dann ist vielleicht noch Alkohol im Spiel, was die Unfallgefahr deutlich erhöht.“

Das statistische Risiko, am 1. Mai in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt zu sein, ist nach Angaben von Lefering viermal höher als etwa Weihnachten. „Betrachtet man die Rangliste der Jahrestage, dann fällt auf, dass zwischen Weihnachten und Neujahr erstaunlich wenige Unfälle passieren“, sagt der Professor. Bei schlechten Straßen- und Sichtverhältnissen komme es eher zu Blechschäden.

Zudem sei am 1. Mai die Vorsicht lange nicht so ausgeprägt wie Weihnachten oder Silvester, sagt Verkehrspsychologe Kiegeland: „Da weiß man, dass man abends noch nach Hause kommen muss, und plant das ein.“ Der 1. Mai sei längst kein so markanter Tag: „Da werden aus einem Bier schnell drei.“ Auch am 3. Oktober passieren besonders viele Unfälle: Dann wollen viele Menschen noch einmal nach draußen und etwas erleben, bevor der Winter hereinbricht.

Generell sind die Sommermonate die gefährlicheren Monate des Jahres: Vor allem durch Motorrad- und Fahrradunglücke sind die Unfallzahlen fast doppelt so hoch wie im Winter. „Für Fußgänger hingegen sind die Monate November und Dezember am gefährlichsten“ – vermutlich, weil es dann sehr lange dunkel sei. Verkehrsunfälle machten 60 Prozent der lebensgefährlichen Unfälle aus, der Rest setzt sich aus Stürzen, Sportunfällen und anderen Verletzungen zusammen. Die Unfallhäufigkeit hängt auch von der Tageszeit ab: „Werktags zwischen 17 und 19 Uhr, wenn viele müde und gestresst sind, schnell nach Hause wollen, passieren die meisten schweren Unfälle“, sagt Lefering. Übrigens sind 72 Prozent der Schwerverletzten Männer.

Leferings Ergebnisse können Kliniken helfen, sich auf Stoßzeiten in der Notaufnahme vorzubereiten. „Und für die Verkehrsteilnehmer kann es gesund sein, im Hinterkopf zu haben, dass auf dem Nachhauseweg doppelt so viele Unfälle passieren wie morgens.“ Auch Kiegeland glaubt, dass dieses Wissen dazu beitragen kann, „dass sich reflektierte Menschen vorsichtiger in ihr Auto setzen. Fast 90 Prozent der Verkehrsteilnehmer halten sich für sehr gute Fahrer“, sagt Kiegeland.