Hamburg. Deutschlands Ex-Starter äußern Enttschäuschung, aber auch Verständnis. Ein großer ESC-Fan glaubt an die Hamburger Nachrückerin Ann Sophie.

Die Entscheidung Andreas Kümmerts, trotz seines Publikumssieges beim deutschen Vorentscheid zum Finale des Eurovision Song Contests (ESC) der Hamburgerin Ann Sophie den Vortritt zu lassen, hat bei den Grand-Prix-Fans gemischte Reaktionen ausgelöst. Während die einen die Entscheidung des 28-jährigen Sängerin für mutig halten, ärgern sich andere über den überraschenden Schritt.

Unter den enttäuschten Beobachtern ist unter anderem Joy Fleming, die 1975 selbst beim Grand Prix angetreten war. „Ich denke, dass der junge Mann ganz toll gesungen hat“, sagte die 70-Jährige am Freitag in ihrem Wohnort Sinsheim (Rhein-Neckar-Kreis). „Ich wäre stolz gewesen, wenn er für Deutschland angetreten wäre.“

Kümmert hat aus ihrer Sicht kalte Füße bekommen. „Vielleicht kam er mit den ganzen gestylten Leuten, die da rumlaufen, nicht klar. Das war wohl etwas zu viel für ihn.“ Sie habe sich von Kümmerts Entscheidung wie vor den Kopf gestoßen gefühlt, sagte Fleming.

Max Mutzke kennt den Druck

Ein anderer deutscher Ex-Starter äußerte Verständnis für die Absage des Gewinners. „Das ist eine krasse Entscheidung“, sagte Max Mutzke in seinem Heimatort Waldshut-Tiengen im Schwarzwald. „Ich kann sie nachvollziehen, weil der Druck hinter den Kulissen enorm groß ist“, sagte der 33-Jährige. Gleichzeitig sei es schwierig, weil eine Absage immer auch das Publikum enttäusche. „Ich hätte damals nicht absagen können, weil ich einfach zu neugierig war.“

Mutzke nahm 2004 für Deutschland am Eurovision Song Contest teil. Seitdem arbeitet er als Profi-Musiker. Ende Mai bringt er sein neuen Soul-Album auf den Markt. Bereut habe er seine ESC-Teilnahme nicht, sagte Mutzke: „Aber danach war es wichtig, neue Wege zu gehen.“

Schöneberger spürt bei Kümmert Angst

ESC-Moderatorin Barbara Schöneberger machte nach der Show klar, sie habe Kümmert abgenommen, dass er nicht tief in die Maschinerie des Wettbewerbs eintauchen wolle. „Der hat Angst.“ Auch später sagt sie: „Ich hatte das Gefühl, er möchte es nicht.“ Dennoch hielt Schöneberger für den „Coitus interruptus der schlimmsten Sorte“.

Sänger Rea Garvey, der als Coach der Castingshow „The Voice of Germany“ den späteren Sieger bei der 2013 Staffel kennenlernte, sprach bei Twitter von einem „Desaster“ - und rief dazu auf, „Barbara“ (Schöneberger) zum Finale zu schicken. Oliver Pocher wiederum kommentierte den Abend mit einem verlegen-roten Smiley.

ESC-Veranstalter reagiert gelassen

Der für die Show verantwortliche NDR wurde indes von Kümmerts Entscheidung komplett überrascht. „Wir haben da mit offenem Mund gestanden“, sagt ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber. „Die Lampe ist zu groß, die da angeht“, sagte Siggi Schuller von der Plattenfirma Universal in einem ARD-Video. „Er hat alles gegeben und irgendwann festgestellt, dass er es einfach nicht packt.“

Die European Broadcasting Union, die den ESC veranstaltet, reagierte eher gelassen. Der Tausch gefährde die Teilnahme Deutschlands nicht - „auch wenn es meinen Informationen nach bisher einzigartig ist“, sagte Sprecher Jarmo Siim der Zeitung „Die Welt“ (Online).

Popakadademie-Chef sieht Angst vor Courage

Der künstlerische Direktor der Mannheimer Popakademie, Udo Dahmen,wirbt derweil um Respekt für Andreas Kümmert. „Die Freiheit, eine Wahl nicht anzunehmen, muss jede Person haben“, sagte der 63-Jährige am Freitag. „Man muss jemandem immer zugestehen, dass er sich in so einer Situation zurückzieht.“

Kümmert sei sich wohl erst im Laufe des Abends über die Tragweite eines Sieges bewusstgeworden. „Ich habe den Eindruck, dass er sehr spontan reagiert hat. Er hat möglicherweise Angst vor der eigenen Courage bekommen.“

Enttäuschung in Kümmerts Heimatort

In Kümmerts unterfränkischem Heimatort Gemünden am Main wurde der Rückzieher dagegen mit Enttäuschung aufgenommen. „Es ist schade für Andreas und es ist schade für Gemünden“, sagte Bürgermeister Jürgen Lippert am Freitag.

„Ich hatte schon zu meiner Frau gesagt: „’Wir fahren nach Wien’. Soweit kommt es nun doch nicht“, sagte der 48-Jährige weiter. Kümmerts Entscheidung sei für ihn aber nicht ganz unerwartet gekommen. „Er ist immer wieder für eine Überraschung gut. Er ist einfach so. Und so überraschend, wie seine Entscheidung war - irgendwie passt es trotzdem.“

ESC-Fan Uecker glaubt an Ann Sophie

Auch der langjährige ESC-Fan Georg Uecker staunte am späten Donnerstagebend. „Sowas hat es in der ganzen ESC-Geschichte noch nicht gegeben“, sagte der „Lindenstraße“-Schauspieler - nach seinem Wissen weder bei deutschen noch bei internationalen Vorentscheidungenen. Über Kümmert sagte Uecker: „Er wird persönliche Gründe haben, die wir nicht kennen, über die wir nur spekulieren können.“ Kümmerts Entscheidung „nötigt einem (...) einen gewissen Respekt ab“, meinte Uecker.

Letztlich sieht Uecker aber auch durch Ann Sophie ordentlich vertreten. Sie werde eine gute Figur beim internationalen Finale in Wien machen, sagte der 52-Jährige am Freitag. Er machte der 24 Jahre alten Newcomerin Mut: „Toi, toi, toi Mädel!“

Für eine Prognose zu Ann Sophies Chancen in Wien sei es zu früh, sagte Uecker. Er verwies darauf, dass noch nicht alle Länder ihre Vertreter bestimmt haben. „Aber für eine Debütantin hat sie eine unglaubliche Bühnenpräsenz, einen tollen Song und auch eine richtig gute Stimme.“ Dass Ann Sophie beim deutschen Vorentscheid am Donnerstagabend einen „Sieg zweiter Klasse“ errungen habe, müsse man irgendwann vergessen. „Und das werden die Leute auch vergessen.“

Ann Sophie stellt sich hinter Kümmert

Die Finalistin selbst stellte sich nach dem Eklat vor den ursprünglichen Gewinner. „Ich finde das megamutig, dass er in dem Moment so auf sein Herz gehört hat. Er sollte sich keine Vorwürfe machen, nur weil er sich selbst treugeblieben ist“, sagte die Hamburgerin über Kümmert. „Ich finde, man sollte es ihm nicht übelnehmen.“

„Er ist ein Wahnsinnssänger und ich schätze ihn sehr. Es wäre schrecklich gewesen, wenn er sich dazu gezwungen hätte, einfach weiterzumachen“, sagte die 24-jährige Hamburgerin über den „Voice-of-Germany“-Gewinner und forderte die Journalisten auf, „Andreas in Ruhe zu lassen“. Sie selbst singt jetzt beim Finale in der österreichischen Hauptstadt ihren souligen Popsong „Black Smoke“.

Schwache Quote für Vorentscheid

Derweil hat die Live-Sendung aus Hannover am Donnerstagabend deutlich weniger Zuschauer angezogen als im Vorjahr. 3,20 Millionen Menschen schalteten um 20.15 Uhr das Erste ein, um die Show „Unser Song für Österreich“ zu verfolgen. Das entspricht einem Marktanteil von 10,3 Prozent.

Im Vorjahr waren es noch 3,95 Millionen gewesen. Im Jahr 2010, als Lena Meyer-Landrut erstmals ESC-Kandidatin wurde, waren 4,5 Millionen am Schirm dabei. Der schwächste Wert in den Jahren seither waren 2,2 Millionen gewesen. (dpa/HA)