Die Geheimdienste sollen die Passwörter der Karten, mit denen Handy-Telefonate oder mobile Internet-Verbindungen verschlüsselt werden, in großem Stil gehackt haben.

Paris/Bangalore. Nicht nur Computer, sondern auch SIM-Karten werden offenbar von der NSA in großem Stil gehackt: Die Affäre um die Geheimdienste in den USA und Großbritannien könnte noch größere Ausmaße haben als bislang gedacht. Dem Nachrichtenportal Intercept zufolge haben sich NSA und das britische Pendant GCHQ Zugriff auf SIM-Karten des Anbieters Gemalto verschafft, der für alle großen Telekommunikationsunternehmen tätig ist.

Die Geheimdienste hätten die Passwörter der Karten, mit denen Handy-Telefonate oder mobile Internet-Verbindungen verschlüsselt werden, geknackt. Damit könnten sie einen Großteil der Gespräche und des Datenaustausches rund um den Globus auch ohne Genehmigung von Behörden und Telekom-Firmen verfolgen, berichtete Intercept am Donnerstag unter Berufung auf Dokumente des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden.

Massenüberwachung ohne richterlichen Beschluss

Sollte es den Geheimdiensten tatsächlich gelungen sein, die Schlüssel massenhaft zu erbeuten, wären sie technisch in der Lage, Handy-Gespräche auch ohne richterlichen Beschluss und Mitwirkung der Mobilfunk-Provider abzuhören, selbst wenn moderne Mobilfunkstandards wie LTE oder UMTS verwendet werden. Ein Überwacher könnte sich leichter als Teil der Netzinfrastruktur ausgeben, wenn die Codes bekannt sind. Dass NSA und GCHQ Telefongespräche und andere Kommunikation auf breiter Front abgreifen können, was bereits bekannt. Ein Diebstahl von SIM-Karten-Codes wäre eine weitere Erklärung für diese Fähigkeiten.

Aus den aktuell präsentierten Unterlagen geht hervor, dass auch weitere SIM-Hersteller im Visier der beiden Geheimdienste standen. Ob sie erfolgreich waren, erfährt man daraus nicht. Einer der führenden Gemalto-Konkurrenten ist Giesecke & Devrient aus Deutschland, der in einem Dokument aus dem Snowden-Fundus auch namentlich als Angriffsziel genannt wird.

Eine GCHQ-Sprecherin sagte, der Dienst äußere sich nicht dazu. Die NSA war zunächst nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Gemalto-Aktien auf Talfahrt

Der Bericht schickte Gemalto-Aktien am Freitag auf Talfahrt. Die Papiere des niederländisch-französischen Unternehmens fielen um bis zu zehn Prozent auf 65,43 Euro. Das ist einer der größten Kursstürze der Firmengeschichte. Sollten sich die Angriffe der Geheimdienste als wahr herausstellen, wäre dies für das Ansehen von Gemalto sehr schädlich, sagte ein Händler in Paris.

Gemalto, das unter anderem SIM-Karten für 450 Mobilfunk-Unternehmen herstellt, darunter die US-Anbieter Verizon und AT&T, wollte sich nicht äußern, ob es Opfer eines Hackerangriffs sei. Gemalto nehme den Bericht aber sehr ernst und habe Untersuchungen eingeleitet, sagte eine Sprecherin. Gemalto stellt auch digitale Sicherheitstechnik und Chips für Bank-Karten und biometrische Ausweise her.

Die Spähaktionen von NSA und GCHQ sind weltweit in die Kritik geraten. Die NSA-Affäre hat auch die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA belastet, weil selbst Kanzlerin Angela Merkel ins Visier der Geheimdienstler geraten ist.