Noch liegt die Grenze für Radfahrer bei 1,6 Promille. Experten halten sie für viel zu hoch und fordern eine Änderung

Goslar. Fahrradfahrer dürfen sich in Deutschland ziemlich ungestraft betrinken. Der Bundesgerichtshof hat den Alkohol-Grenzwert vor Jahrzehnten auf 1,6 Promille festgelegt. Wer weniger Alkohol im Blut hat und unauffällig fährt, muss nicht einmal ein Bußgeld fürchten. Für Radler gibt es nämlich keinen sogenannten Gefahrengrenzwert, also einen Wert, bei dem man sein Fahrzeug nicht mehr sicher führen kann – und bei einem Verstoß mit einem Ordnungsgeld rechnen muss.

Für Kraftfahrer liegt diese Grenze bei 0,5 Promille. Gegen dieses Ungleichgewicht machen Experten mobil: Beim 53. Verkehrsgerichtstag (VGT) im niedersächsischen Goslar soll das Thema „Radfahrer und Alkohol“ in der kommenden Woche eine zentrale Rolle spielen. „1,6 Promille, das ist schon reichlich“, findet der Präsident des Verkehrsgerichtstages, Kay Nehm. „Dieser Wert ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt auch Jürgen Koglin, Vizepräsident des Automobil-Clubs Verkehr (ACV): „Wer kein vierrädriges Fahrzeug mehr unter Kontrolle hat, hat auch kein zweirädriges mehr im Griff.“

2013 gab es nach einer vom ACE Auto Club Europa veröffentlichten Studie in Deutschland rund 77.000 Unfälle mit Personenschaden, in die Fahrradfahrer verwickelt waren. Mehr als 3400 dieser Radler waren betrunken. Dieser Anteil liegt mit gut 4,4 Prozent deutlich höher als bei Auto- (2,3) und Motorradfahrern (1,4 Prozent). Der überwiegende Anteil der betrunkenen Radfahrer sind Männer (87,4 Prozent). Neuere Untersuchungen zeigten, dass alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bei Fahrradfahrern bereits ab 1,1 Promille stark zunähmen, sagt ADAC-Sprecher Andreas Hölzel. Nach einer Studie des Gesamtverbandes der deutschen Versicherer (GDV) lassen sich bei diesem Wert „deutliche Einschnitte in der Fahrfähigkeit“ feststellen.

Entgegen landläufigen Vorstellungen gefährdeten betrunkene Radfahrer dabei nicht nur sich selbst, sondern auch andere Radfahrer und Fußgänger, sagt eine Sprecherin des Automobilclubs von Deutschland (AvD). Die Grenze für die strafbare absolute Fahruntüchtigkeit sollte deshalb auf den für Autofahrer geltenden Wert von 1,1 Promille gesenkt werden.

„Man kann es nicht lassen, wie es jetzt ist“, meint auch Hannelore Herlan von der Deutschen Verkehrswacht: „Der derzeitige Wert von 1,6 Promille ist viel zu hoch. Da kann man sich ordentlich viel hinter die Binde kippen, bis man den erreicht.“ Dabei könne man schon ab 0,3 Promille Entfernung und Tempo eines Autos nicht mehr gut einschätzen. „Bei 0,5 Promille verschlechtert sich die Sehleistung“, sagt Herlan: „Und bei 0,8 die Reaktionsfähigkeit.“

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) möchte zwar, dass der Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,6 Promille bestehen bleibt. Radler, die mit einem solchen Wert erwischt werden, verlieren auch den Führerschein. „Wir fordern aber daneben einen Gefährdungsgrenzwert von 1,1 Promille“, sagte Sprecher René Filippek.

„Die Zeiten, in denen man auch als volltrunkener Fahrradfahrer ungeschoren davonkommt, sollten in jedem Fall vorbei sein“, verlangt auch Christian Kellner, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR). Ab 1,1 Promille sollte ein Bußgeld fällig werden.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) dagegen lehnt neue Promille-Grenzen für Radfahrer ab. „Wer alkoholisiert Auto führt, gefährdet massiv Leib und Leben Dritter“, sagt Jörg Elsner. Vorsitzender der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht: „Wer alkoholisiert Fahrrad fährt, gefährdet in aller Regel nur sich selbst.“