Baby-Alarm: Nirgendwo entscheiden sich so viele Schwangere für eine operative Entbindung wie in Brasilien. Viele glauben offenbar, Frauen, die normal entbinden, seien weniger sexy.

Berlin/Brasilia. Das Baby ist da! Eine kleine Madeline. Und zur Welt gekommen ist die Brasilianerin bei ihren Eltern im Wohnzimmer. In einem Planschbecken voll warmem Wasser, die Mutter Regi Souza auf der einen Seite, der Vater Thiago ihr gegenübersitzend mit einem strahlenden Lachen über dem ganzen Gesicht. Beide Eltern sind klatschnass, nicht nur vom Wasser, auch vom Schwitzen.

Eine Geburtshelferin steht außerhalb des Pools, hinter der frischgebackenen Mutter, die andere seitlich daneben. Beide haben sterile Handschuhe an, ansonsten tragen sie aber ganz normale Kleider und nichts, das an Krankenhaus oder Hebamme erinnert. Auch sie sind nach Madelines Ankunft sichtlich gerührt.

So und ähnlich spielen sich vor allem in Brasiliens intellektueller Mittelschicht neuerdings Geburten ab, und das ist offenbar auch ganz im Sinne der brasilianischen Regierung. Das Gesundheitsministerium hat für Mitte des Jahres nämlich eine neue Verordnung auf den Weg gebracht, um die extrem hohe Zahl von Kaiserschnittgeburten zu verringern. 52 Prozent aller Babys werden in Brasilien per Kaiserschnitt auf die Welt geholt.

In Deutschland liegt die Quote der Kaiserschnittentbindungen bei 29 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält sogar lediglich 15 Prozent für akzeptabel. Schon seit Jahren hält das bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas den Weltrekord bei Kaiserschnitten. In Privatkliniken liegt der Anteil mit 83 Prozent sogar noch höher.

Kaiserschnitte rechnen sich für die Krankenhäuser

Dabei greifen die Ärzte in Brasilien nicht etwa zum Operationsbesteck, weil es sich um einen notwendigen Eingriff handelt, sondern vor allem, weil es einfacher und lukrativer ist. Statt bei einer zwölfstündigen Geburt stehen sie beim Kaiserschnitt nur drei Stunden im Kreißsaal – für das gleiche Gehalt von umgerechnet zwischen 200 und 2000 Euro. Wer es sich leisten kann, verbindet den Kaiserschnitt gleich mit einer kosmetischen Korrektur des Bauchs, was dann aber entsprechend teurer ist. Statt eines langen Wehenleidens für die Mutter und einer schlaflosen Nacht für den Arzt machen alle Beteiligten einen Termin aus, irgendwann vormittags, gut planbar. Außerdem soll so angeblich der Körper der Gebärenden unversehrter – und damit intakt für den Geschlechtsakt – bleiben.

„Was Quatsch ist“, sagt Etelvino Trindade, Präsident beim Brasilianischen Verband der Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe (Febrasgo). „Oftmals klärt der Arzt die Schwangere nicht über sexuelle Fragen auf, und dann kommt die alte Mär auf den Tisch, dass eine normale Geburt das weibliche Geschlechtsorgan ausleiere und sie so sexuell unattraktiv macht. Es wird suggeriert, dass der Kaiserschnitt zu dieser Angst die geeignete Alternative sei“, so Trindade.

Zukünftig sollen Ärzte und Krankenhäuser spätestens 15 Tage nach einer Entbindung durch Kaiserschnitt den Krankenkassen und den Gesundheitsbehörden Gründe für die Notwendigkeit der Operation vorlegen. Auch sieht das Gesundheitsministerium vor, dass Schwangere vor der Entbindung auf die Risiken einer Kaiserschnittgeburt für Mutter und Säugling hingewiesen werden müssen. Denn in Brasilien werden viele Babys zu früh auf die Welt geholt, so dass sie etwa an Lungenproblemen leiden. Auch das Todesrisiko für die Mutter schätzt das brasilianische Ministerium bei einem Kaiserschnitt dreimal höher ein als bei einer Spontangeburt. Trotzdem scheinen Ärzte in Brasilien den Müttern die Bedenken gegen eine natürliche Geburt förmlich einreden zu wollen.

Verstoß kostet bis zu 7900 Euro Geldstrafe

Ana Cristina Duarte ist Hebamme und eine der Wortführerinnen der Bewegung für mehr natürliche Geburten in Brasilien. Sie beschreibt, dass sich die „Kaiserschnitt-Industrie“ vor etwa 45 Jahren entwickelt habe. Wie auch der brasilianische Gesundheitsminister Arthur Chioro spricht sie von einer „Epidemie der Kaiserschnitte“, die in den 70er-Jahren begonnen habe. Chioro fordert mit einer neuen Verordnung, dass die natürliche Spontangeburt als Norm gelten müsse und nicht der operative Eingriff. „Wir können nicht akzeptieren, dass immer mehr Kaiserschnittgeburten aus Bequemlichkeit vorgenommen werden“, so der Minister. Ein Verstoß gegen die Verordnung wird mit einer Geldstrafe von umgerechnet bis zu 7900 Euro geahndet.

Doch die Pläne der Regierung drohen mit der realen Entwicklung zu kollidieren. „Im Bereich der Geburtshilfe und der Gynäkologie sind 20.000 Krankenhausbetten gestrichen worden“, sagt Etelvino Trindade. „Und es gibt keine Garantie, dass man im Krankenhaus einen Platz bekommt, wenn die Geburtswehen einsetzen", erklärt der Gynäkologe.