Die in der Adria treibende „Norman Atlantic“ wird nach Brindisi geschleppt. Die italienischen Ermittler vermuten mehr Tote: Es wurden Menschen gerettet, die nicht auf den Passagierlisten standen.

Tirana. Italienische Ermittler befürchten eine höhere Zahl von Todesopfern an Bord der ausgebrannten Adria-Fähre „Norman Atlantic“. Bei der systematischen Durchsuchung des Schiffs würden womöglich weitere Leichen entdeckt, sagte Staatsanwalt Giuseppe Volpe. Er ordnete an, die Fähre ins italienische Brindisi zu schleppen. Bisher wurden elf der 475 Menschen an Bord tot geborgen. Bei der Bergung verunglückten zudem zwei albanische Seeleute tödlich.

Volpe sagte, es gebe Beweise, dass Flüchtlinge als blinde Passagiere an Bord der „Norman Atlantic“ gereist seien. Unter den 49 Geretteten, die am Montag in Bari ankamen, seien zwei Afghanen und ein Syrer gewesen, von denen einer bereits politisches Asyl beantragt haben.

Mittlerweile ist im süditalienischen Brindisi das Marineschiff „San Giorgio“ nach mehreren Verzögerungen mit etwa 200 Überlebenden angekommen. An Bord waren auch die Leichen von fünf Menschen, wie die Nachrichtenagentur Ansa meldete. Im Hafen war eine Krankenstation aufgebaut. Die „San Giorgio“ war der brennenden Fähre zu Hilfe geeilt.

Die „Norman Atlantic“ war mit mehr als 400 Menschen an Bord am frühen Sonntagmorgen auf dem Weg vom griechischen Hafen Patras in die italienische Stadt Ancona in Brand geraten. Während der Sturm das qualmende Schiff in Richtung der albanischen Hafenstadt Vlore trieb, wurden bei einer dramatischen, 36 Stunden dauernden Rettungsaktion die meisten der Passagiere und Besatzungsmitglieder mit Hubschraubern von Bord geholt.

Wrack treibt manövrierunfähig im Meer

Zunächst war nicht klar, wie viele Menschen ursprünglich an Bord waren. Gerettet wurden 427 Menschen, darunter die 56 Besatzungsmitglieder, wie die niederländische Bergungsfirma Smit Salvage mitteilte. Die ursprüngliche Aufstellung hatte allerdings 422 Passagiere und 56 Mannschaftsmitglieder aufgelistet.

Für einige Geretteten war die Odyssee am Dienstag noch nicht zu Ende. Ein Schiff, das 39 Überlebende an Bord genommen hatte, durfte wegen schlechten Wetters nicht wie geplant im italienischen Manfredonia anlegen, sondern musste zwölf Stunden weiter nach Tarent fahren. Sowohl griechische als auch italienische Behörden haben Strafermittlungen eingeleitet.

Die „Norman Atlantic“ treibt bereits den dritten Tag manövrierunfähig in der Adria. Am Dienstagmorgen versuchte ein albanischer Schlepper, die Fähre in Schlepptau zu nehmen. Dabei riss das Tau jedoch und erschlug zwei Seeleute, wie der Polizeisprecher der Hafenstadt Vlore am Dienstag mitteilte. Damit ist die Zahl der Toten bei dem Fährunglück auf zwölf gestiegen.

Ein Sprecher der Bergungsfirma Smit sagte, Löschmannschaften durchsuchten die „Norman Atlantic“, um verbliebene Brandnester zu löschen. Aus dem Wrack steige immer noch Rauch auf. Am frühen Morgen sei ein Tau an der Fähre angebracht worden. Ob die beiden Albaner bei dieser Aktion zu Tode kamen, war zunächst nicht klar. Der Sprecher sagte, Smit warte auf leistungsstärkere Schlepper, die das 186 Meter lange Schiff in einen Hafen bringen könnten.