Dramatische Szenen an Bord der Fähre „Norman Atlantic“. Hunderte Menschen warten verzweifelt auf Hilfe

Athen/Rom. Es müssen schreckliche Stunden sein: Rauchsäulen verdunkeln den Himmel, der Wind peitscht, die Wellen schlagen an Bord. Die Retter sprechen von einer der schwersten Operationen, die sie je erlebt haben. 78 Kilometer nordwestlich der griechischen Insel Korfu gerät die Fähre „Norman Atlantic“ mit fast 500 Menschen an Bord, unter ihnen 18 Deutsche, in Brand. Unter den Passagieren sind neben vielen Lkw-Fahrern auch Familien mit Kindern. Weil das Wetter so schlecht ist, kommen die Retter nur schwer voran.

„Wir werden verbrennen wie die Mäuse“, sagt Augenzeuge Nikos dem griechischen Radiosender Skai. Jannis, der sich auf ein Containerschiff retten konnte, sagt: „Unser Schiff steht in Flammen. Meine Frau war in einem anderen Rettungsboot, das ist hier nie angekommen.“ Ein weiterer Passagier spricht von so starker Hitze, dass Schuhe angefangen hätten zu schmelzen. Bis zum späten Abend konnten trotz stürmischer See und starkem Wind etwa 190 Menschen gerettet werden. Acht von ihnen wurden von einen Rettungsboot, das am Unglücksort ins Wasser gelassen werden konnte, an Bord von Hubschraubern geholt und nach Süditalien ausgeflogen. Die anderen nahmen Schiffe auf, die zum Zeitpunkt des Unglücks in der Nähe unterwegs waren. Unter ihnen ist auch eine Frau, in der 30. Woche schwanger, mit ihren zwei Kindern, die vermutlich ins Wasser gefallen waren. Andere Kinder warten im Krankenhaus in Italien auf Nachrichten von ihren Eltern, die noch an Bord seien. Das Fernsehen zeigt Bilder, wie Menschen mit dem Hubschrauber aus dem Wasser gezogen werden.

Auf der Fähre harrten mehr als 300 Menschen auf dem oberen Deck aus und warteten auf Hilfe. Ein Passagier ist bei dem Versuch, von dem brennenden Schiff zu fliehen, gestorben, ein weiterer wurde dabei verletzt, teilte die italienische Küstenwache am Sonntag mit. Über die Identität des Todesopfers ist bisher nichts bekannt. Es bestehe allerdings keine unmittelbare Gefahr, dass die „Norman Atlantic“ sinke, teilten die Behörden mit. Fest steht bisher, dass das Feuer im Morgengrauen auf dem Autodeck der Fähre der griechisch-italienischen Reederei Anek Lines ausbrach. Der Grund dafür ist noch unklar. Das Feuer breitete sich schnell über das Schiff aus, das vom griechischen Hafen Patras über Igoumenitsa nach Ancona in Italien unterwegs war. „Der Boden brannte, als wir zum Rettungsboot gingen“, sagte Athina, die gerettet wurde, dem Sender Skai.

Die Reederei teilte mit, dass „die Evakuierung des Schiffes geregelt weitergeht und die Operation in Zusammenarbeit mit den Behörden gut verläuft“. Der griechische Minister für Handelsschifffahrt, Miltiadis Varvitsiotis, räumte dagegen ein, dass die Rettung alles andere als glatt läuft. „Es ist eine der schwierigsten Rettungsaktionen, die wir bisher erlebt haben.“ Bei Windstärke sieben bis acht könnten weder andere Schiffe noch deren Rettungsboote einfach an den Havaristen heranfahren und Menschen aufnehmen. Sieben Handelsschiffe versuchen, eine Art schwimmende Barriere gegen die bis zu sechs Meter Wellen zu bilden. Anschließend soll versucht werden, ein Tau an der Fähre zu befestigen und sie Richtung Küste zu schleppen.

Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras und sein italienischer Kollege Matteo Renzi stehen im Kontakt, um die Rettungsaktion zu koordinieren. Das Kommando ging auf Italien über, zumal die Fähre unter italienischer Flagge fuhr. Bereits während des Einsatzes wurde Kritik an der Regierung in Athen und am Fährbetreiber laut. Griechische Angehörige der Passagiere klagten darüber, nicht ausreichend informiert zu werden. Zudem häufen sich Fragen zur Eignung der Fähre. So sollen bei einer Inspektion Sicherheitsmängel festgestellt worden sein. Die Hafenbehörde von Patras habe am 19. Dezember unzureichende Rettungsmittel, undichte Sicherheitstüren, den Zustand der Notbeleuchtung und das Fehlen von Evakuierungsplänen an den Wänden des Schiffes bemängelt. Der Reederei sei eine zweimonatige Frist zur Behebung dieser Mängel eingeräumt worden. Ob das Schiff dennoch als seetüchtig gelten konnte, blieb unklar. Schwere Vorwürfe erhebt Spediteur Panagiotis Panagiotopoulos, der zwei seiner Fahrer auf der Fähre hat. Er habe sich am Vorabend mit der Reederei gestritten, weil die Fähre nicht geeignet sei. „Das ist verantwortungslos!“

Das 2009 im italienischen Porto Viro in der Provinz Rovigo gebaute, 186 Meter lange und 26.900 Tonnen schwere Schiff hat eine wechselvolle Geschichte. Es hat binnen fünf Jahren dreimal den Namen gewechselt.

Nahezu zeitgleich mit dem Ausbrechen des Brandes auf der Fähre sank ebenfalls im Mittelmeer ein türkischer Frachter, der vor der italienischen Küste bei Ravenna mit einem in Belize registrierten Schiff kollidiert war. Dabei starben mindestens zwei Seeleute des türkischen Schiffs, vier weitere Crewmitglieder wurden am späten Abend noch vermisst.