Die Berliner Modebloggerin Mary Scherpe veröffentlicht mit „An jedem einzelnen Tag“ ein Buch über ihr Leben mit einem Stalker. Die Autorin rät anderen Opfern, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Berlin. Die Polizei konnte Mary Scherpe nicht helfen. Die Modebloggerin aus Berlin ist seit Jahren das Opfer eines Stalkers. Zuletzt hörte sie fast jeden Tag von ihrem Peiniger. Hilfe fand sie nur in der Öffentlichkeit. Nach einem Blog veröffentlicht Scherpe nun ein Tagebuch indem sie die gesammelten Absurditäten ihres Stalkers veröffentlicht.

Alle – auch der Stalker selbst – sollen sehen, welche Züge ihr Leben wegen der Angriffe bereits genommen hat.

Seit der Veröffentlichung des Blogs habe sich der Stalker mehr zurückgehalten. „Es gibt hin und wieder, in größer werdenden Abständen noch Postsendungen, eigentlich immer dann, wenn ich denke, er hat aufgehört“, sagt die Autorin. In ihrem Buch „An jedem einzelnen Tag. Mein Leben mit einem Stalker“ (Erscheinungstermin 16. September) schreibt die Autorin über ihren wahr gewordenen Alptraum und die Abgründe eines Mannes, mit dem sie einst zusammen.

Das tagebuchartig geschriebene Werk wird der Kategorie Sachbuch zugeordnet, denn anders als beispielsweise Judith Hermanns Stalker-Roman „Aller Liebe Anfang“ beruht Scherpes Buch auf ihren eigenen Erlebnissen.

„Über das Thema Stalking wird generell, abgesehen von Prominentenstalking, zu wenig gesprochen, die wenigsten wissen, welche Ausmaße das hat“, sagt sie.

Beim Lesen wird klar wie sehr Stalker das Leben ihrer Opfer beeinflussen. Scherpe hat auch schon Kunstrasenstücke, Stoffmuster, Schwangerschaftsvitamine und Tierfutter zugeschickt bekommen. Der Stalker sehnt sich vielleicht nach einer gemeinsamen Zukunft, sagte die hauptberufliche Modebloggerin auch dem Magazin „Spiegel“.

Der Stalker kann auch bösartig sein. Beispielsweise, wenn die von ihm bestellte Anti-Falten-Creme, die Inkontinenzeinlagen oder Informationsmaterial über Brustvergrößerungen im Briefkasten landen. Abbildungen auf der Innenseite des Buchdeckels dokumentieren die bizarre Post. Besonders gehässig agiert „Z.“, wie die Berlinerin ihn im Buch durchgängig nennt, wenn er auf sämtlichen sozialen Netzwerken, teils über zig Accounts, sein Unwesen treibt. Er antwortet und kommentiert in ihrem Namen, beschimpft sie und schreibt fiese Kommentare zu ihrer Arbeit im Netz.

Seit 2006 veröffentlicht Scherpe Beiträge in ihrem Blog „Stil in Berlin“ zu Themen rund um Mode, Kultur und Kulinarik in der Hauptstadt. Die Kommentare des Stalkers darunter zielen auf sämtliche Klischees im Modebusiness ab.

Ganz besonders treffen die 1982 geborene Scherpe höchstpersönliche Angriffe, beispielsweise auf ihr Aussehen: „Und die haben auch Kleider für Zwei-Meter-Frauen ohne Brüste?“, kommentiert „Z.“. Typische Frauen-Sprüche wie „Ich finde meine Nase zu groß“ hatte sie ihrem damaligen Freund anvertraut, dieses „Insiderwissen“ spiele er aus – anonym. Nur Scherpe selbst erkennt an Details, dass ihr Ex, mit dem sie lediglich drei Monate zusammen war, dahinter stecken müsse.

„Wieso war ich nicht in der Lage, einfach über die Post und die Nachrichten hinwegzusehen?“, fragt die Autorin im Buch und liefert die Antwort: Der Stalker sei „ein kleiner Teufel, der sich am Bein festkrallt“. Gegen den Teufel ist sie machtlos. Mit Hilfe-Diensten diverser Social-Media-Anbieter macht sie schlechte Erfahrungen. Selbst erfahrene Anwälte und die Polizei kapitulieren: Allein wer die „Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt“, mache sich strafbar.

Das Bundeskriminalamt zählte im Jahr 2013 bundesweit 23 831 erfasste Stalking-Fälle. Die Dunkelziffer könnte aber weitaus höher liegen. In der Bundesrepublik steht Stalking seit 2007 als „unbefugtes Nachstellen“ unter Strafe. Aber die Hürden sind hoch. „Ich müsste erst umziehen, meinen Blog schließen und deshalb mein Einkommen verlieren, meine Wohnung nicht mehr allein verlassen und das mittels Gutachten nachweisen“, schreibt die Autorin. Ein Nachweis der ganzen Machtspiele alleine genüge nicht. Bis heute dauert das Übel an.