Erst wird ein schwarzer Teenager von einem Polizisten erschossen, dann gibt es Unruhen in den USA. Die Trauerfeier für Michael Brown ist ein Schrei nach Gerechtigkeit. Und zeigt: Amerika ist ein zerrissenes Land.

St. Louis. Die Friendly Temple Missionary Baptist Church in St. Louis hat keinen Kirchturm und keine Glocken. Von außen wirkt das Gotteshaus wie ein feudaler Versicherungsbau, drinnen wie ein Kino der besseren Sorte. Teppichboden, weiche, tiefe Sessel, der Altarbereich ist in hellem, freundlichen Holz gehalten. Der Sarg, in dem der Leichnam Michael Browns liegt, ist aus schwerem, schwarzen Holz gezimmert, darauf liegt ein Strauß roter Rosen – und eine Baseball-Kappe.

Es ist zehn Uhr Morgens, als die Trauerfeier beginnt. Draußen ist es über 30 Grad heiß, innen klimatisiert. Als erstes tritt die Mutter an den Sarg, sie trägt ein rotes, ärmelloses Kleid. In einem Brief an ihren Sohn, der dem offiziellen Programm zu den Feierlichkeiten beiliegt, hat sie geschrieben: „Mein Sohn, ich weiß nicht, warum Gott Dich erwählt hat.“

Der Sohn, von dem sie Abschied nimmt, ist 18 Jahre alt geworden, bevor ihn ein Polizist in Ferguson, einer Vorstadt von St. Louis, mit sechs Schüssen niederstreckte. Brown ist schwarzer Hautfarbe, der Polizist ist weiß, nach dem Tod waren Unruhen ausgebrochen, der Fall wühlte ganz Amerika auf.

Es heißt, es seien die Eltern gewesen, die ausdrücklich auf eine öffentliche Trauerfeier bestanden hätten. Die Kirche ist an diesem Montagmorgen voll besetzt, die überwiegende Mehrheit der Trauergäste ist schwarz, Weiße sind nur sehr wenige präsent, Barack Obama hat ein paar seiner Leute aus dem Weißen Haus geschickt, die niemand kennt.

Es wird viel gesungen, ein kleines Orchester mit Klavier und Bläsern begleitet, die Menschen erheben sich aus ihren Sesseln, manche wiegen ihren Körper im Rhythmus. Darauf treten mehrere Männer in Schlips und Anzug auf die Kanzel, ihre Stimmen zittern vor Erregung. „My Lord, Du weißt wie schwer es ist, einen Sohn zu verlieren“, ruft ein Mann mit dunkler Brille. Die Gemeinde klatscht frenetisch, einige Zuschauer rufen „Yeah“. Dann tanzen sie wieder.

Ein anderer Redner ruft: „Wir haben genug von dem sinnlosen Töten.“ Die Trauergemeinde klatscht Beifall, es sind mehrere Tausend gekommen. Die Stimmung heizt sich auf.

Dann tritt der Hauptredner an die Kanzel. Es ist Referend Al Sharpton, ein Pfarrer und Bürgerrechtler, der für seine Scharfzüngigkeit bekannt ist. „Dieser junge Mann sollte jetzt eigentlich seine zweite Woche im College beginnen.“

Al Sharpton spricht mit hoher, schriller Stimme. Er ist ein geübter Redner, der den Finger in die offene Wunde Amerikas legt. Er spricht über die Polizeigewalt, die das Land immer wieder erschüttert, er fragt, warum die Leiche des Jungen am helllichten Tage über vier Stunden lang auf der Straße gelegen hat, bevor die Polizei etwas getan habe.

Doch vor allem ruft er die Menschen auf, zu handeln, nicht stillzuhalten und die Gewalt nicht hinzunehmen. Da werde die Polizei militärisch aufgerüstet, aber für die öffentliche Erziehung der Kinder sei kein Geld vorhanden. „Er geht um Gerechtigkeit!“, ruft der Mann. „Niemand hilft uns, wenn wir uns nicht selbst helfen.“ Das ist keine Trauererede, die der Bürgerrechtler hält – das ist eine Anklage an Amerika. Die Zuschauer applaudieren.

Nach der Trauerfeier soll Brown auf dem nahegelegenen St. Peter's Friedhof seine letzte Ruhe findet – abgeschlossen ist der „Fall Michael Brown“ damit noch lange nicht. Ein explosives Thema sind die Ermittlungen gegen den Todesschützen Darren Wilson. Eine Grand Jury soll entscheiden, ob gegen den Polizisten Anklage erhoben wird.

Doch schon monieren Kritiker, schwere Zweifel kommen auf: Zwölf der Mitglieder sind Weiße, nur drei Schwarze sind darunter. Zudem finden die Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Viele Schwarze in den USA trauen dem nicht. Sie fürchten, dass der Polizist ohne Strafe davonkommt – auch das ist ein Zeichen für die Zerrissenheit Amerikas. Schon gibt es erste Warnungen: Sollte der Todesschütze straflos davonkommen, brechen wieder Unruhen aus.