Im Steuerprozess gegen Uli Hoeneß geht es jetzt schon um 27,2 Millionen Euro. Der FC-Bayern-Präsident fühlt sich vor Gericht sichtlich unwohl

München. Ein Wechselbad der Gefühle: Zuerst der Frust im Gericht. Keine 3,5 Millionen mehr, wie vor Prozessbeginn angenommen, auch keine 18,5 Millionen, wie man am Montag noch vermuten durfte, nein: Die Steuerschuld von Uli Hoeneß beläuft sich seit Dienstag auf 27,2 Millionen Euro. Mindestens. Das wurde am zweiten Verhandlungstag des Steuerhinterziehungsprozesses bekannt. Am Abend dann Labsal für die Seele. Beim Champions-League-Spiel in der Allianz Arena spürte der Präsident die warme Unterstützung der Bayernfans.

Der Prozesstag zwei stand im Zeichen einer Steuerfahnderin. Als Zeugin geladen, errechnete sie nach einem Vernehmungsmarathon zusammen mit Richter Rupert Heindl, den Verteidigern und Staatsanwalt Achim von Engel die Summe von 27,2 Millionen. Da war es nachmittags kurz vor halb drei.

Uli Hoeneß saß auf seinem Anklagestuhl. Er sagte kein Wort. Den ganzen Tag nicht. Zwischendrin tuschelte er mit seinen Anwälten. Dafür sprachen andere – eine andere. Die Zeugin Gabriele H. Die 45 Jahre alte Sachbearbeiterin des Finanzamts Rosenheim, wo Hoeneß am Morgen des 17. Januar 2013 durch seinen Steuerberater die Selbstanzeige gestellt hatte.

Sie sprach sehr viel und sehr lang. Schon am Vormittag hatte sie brisante Neuigkeiten geliefert, die durchaus Einfluss auf das Urteil gegen Hoeneß haben könnten. Denn ihre Aussagen warfen die Frage auf, ob die Verteidigung absichtlich Bankunterlagen der Züricher Vontobel-Bank zurückgehalten hatte, um auf Zeit zu spielen.

Ein Urteil am Donnerstag rückte in weite Ferne. „Es ist nicht mehr sehr wahrscheinlich“, sagte Gerichtssprecherin Andrea Titz. „Vermutlich wird die Durchsicht und Prüfung der neuen Akten, die die Verteidigung kurz vor der Verhandlung eingereicht hatte, noch einige Zeit in Anspruch nehmen.“ Dazu wird am heutigen Mittwoch noch ein Betriebsprüfer als weiterer Zeuge geladen: der Finanzbeamte, der regelmäßig im Hause Hoeneß vorbeischaute, um die Konten des FC-Bayern-Präsidenten zu überprüfen.

Anders als am Montag, als zwei Finanzbeamte aus Stuttgart und München nach zehn Minuten schon wieder heimgehen konnten und der dritte Zeuge, Hoeneß’ damaliger Steuerberater, durch seinen Anwalt erklären ließ, er wolle sich gar nicht äußern, wurde die Befragung der Zeugin H. am Dienstag zu einer Ganztagesveranstaltung.

Dabei war vor Verhandlungsbeginn noch unklar gewesen, ob der Tag vor Gericht nicht bald zu Ende sein würde – angesichts der rund 52.000 Seiten, die die Verteidigung in den vergangenen zwei Wochen an die Finanzbehörden und die Staatsanwaltschaft übermittelt hatte. Gabriele H. schilderte ausführlich die Tage nach der Selbstanzeige, wie sie sich Informationen über Hoeneß’ Kontostände einholte und auch, wie sie am 20. März 2013 die Hausdurchsuchung in Bad Wiessee erlebte.

Richtig spannend wurde es, als H. davon sprach, wie ihr die Verteidigung Ende Februar drei USB-Sticks übergab. Ende Februar 2014. USB-Sticks, die es in sich hatten: elf Dateien mit Abrechnungsbelegen für Devisentermingeschäfte und zwei Ordner mit 17 Dateien im PDF-Format. Frau H.: „Insgesamt handelt es sich um 52.000 Blätter. Eine erste Grobsichtung durch einen Steuersachverständigen zeigte, dass die vorgelegten Dateien nur schwer einlesbar und in ihrer Gänze nur manuell auswertbar sind.“

Nach einer ersten schwierigen Auswertung in der Faschingswoche Anfang März seien am 5. März noch einmal die Anwälte zu ihr gekommen. H. erklärte, sie hätten noch mal betont, sie wollten alles auf den Tisch legen. Nicht dass der Eindruck entstehe, dass es sich um ein taktisches Manöver handele.

Doch genau danach sah es dann auf einmal auf – als H. erklärte, ein Experte aus der EDV-Abteilung habe festgestellt, dass die PDF-Dateien auf dem Stick bereits am 18. Januar 2013 erstellt worden, einen Tag nach der Selbstanzeige. Hatte Hoeneß, hatten seine Anwälte die brisanten Daten zurückgehalten, nachdem kurz zuvor eine unvollständige, offensichtlich recht dilettantisch zusammengeschusterte Selbstanzeige abgegeben wurde? Die Frage wird das Gericht sicher noch beschäftigen. Verbessert hat sich die Situation von Uli Hoeneß sicher nicht. Anwalt Feigen erklärte nach der Mittagspause, Hoeneß und seine Berater hätten unmittelbar nach der Selbstanzeige bei der Vontobel-Bank am 17. Januar die Akten und Kontoauszüge angefordert, darum seien die ersten PDF-Dateien am 18. Januar erstellt worden. Die Zusendung habe sich hingezogen, es sei also keineswegs taktisches Kalkül gewesen.

Demgegenüber erklärte Zeugin H., Hoeneß habe mehrere Fristen verstreichen lassen. Gerichtssprecherin Titz sagte, die Unterlagen seien „entgegen den ursprünglichen Bekundungen dann doch nicht vollständig“ gewesen. Am 5. März, fünf Tage vor Verhandlungsbeginn, seien dann „nochmals neue weitere Unterlagen nachgereicht“ worden.

Die große Neuigkeit folgte am Nachmittag. Als die Zeugin H. 20 Minuten vorne am Richtertisch zusammen mit den Verteidigern, dem Staatsanwalt und Richter Heindl über den Akten gestanden hatte, kam sie auf das Ergebnis: eine Steuerhinterziehung im Umfang von 23,7 Millionen Euro über die bisher angeklagte 3,5 Millionen hinaus. Alles in allem also 27,2 Millionen Euro. Und dabei hatte die Steuerfahnderin noch den günstigsten Tarif veranschlagt und zugunsten von Hoeneß gerechnet.

Ob dies eine Auswirkung auf das Urteil und das Strafmaß habe? Zumindest Hoeneß-Anwalt Hanns W. Feigen verneinte dies: „Bei einer wirksamen Selbstanzeige ist es egal, ob ich zwei Millionen oder 500 Millionen hinterziehe.“ Das entscheidende Wort: wirksam. Denn erklärt das Gericht die Selbstanzeige für unwirksam, dann könnte es durchaus einen Unterschied machen, ob es 3,5 waren oder 27,2 – eine Bewährungsstrafe wäre dann immer unwahrscheinlicher.

Nach Ansicht von Steuergewerkschaftschef Thomas Eigenthaler muss Hoeneß ins Gefängnis gehen: „Eine Freiheitsstrafe ist für mich absolut zwingend“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. „Ob sie noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann, daran habe ich ganz, ganz starke Zweifel.“

Hoeneß selbst wirkte an diesem Tag wie eine Randfigur. Er fühlte sich sichtlich unwohler als tags zuvor. Seine Gesichtsfarbe ließ an Bluthochdruck denken. Nervös, unsicher, im Gefühl, nicht – wie sonst beim FC Bayern – alles in der Hand zu haben. Vor Gericht ist er machtlos. Ausgeliefert.

Am Abend sah sich Hoeneß das Spiel seiner Bayern gegen Arsenal London an. Am Mittwoch folgt dann der dritte Verhandlungstag. Es hätte der vorletzte sein sollen. Die Bayern machten in 90 Minuten alles klar fürs Viertelfinale. Es spricht viel dafür, dass die Auseinandersetzung um ihren Vereinspräsidenten vor Gericht in die Verlängerung geht.