Uneheliches Kind, tödlicher Sex. Ein neues Buch enthüllt Geheimnisse aus dem Leben von Prinzessin Louise

London. Englands 1901 gestorbene Queen Victoria wäre alles andere als „amused“ gewesen, wenn ihr das jüngste Buch der englischen Kunsthistorikerin Lucinda Hawksley noch in die schwarz behandschuhten Finger gelangt wäre. Doch auch ihre Ururenkelin Elizabeth II., 87, hätte das Erscheinen von „The Mystery of Princess Louise“ (etwa: Prinzessin Louises Geheimnis), das die Vertuschung eines royalen Bastards sowie einen Todesfall im Lotterbett enthüllt, wohl am liebsten vereitelt. Jedenfalls traf die Verfasserin, selbst eine Urururenkelin des viktorianischen Erzählers Charles Dickens, beim Recherchieren über das sechste von Victorias neun Kindern fast ausschließlich auf Absagen. „Nicht nur sind sämtliche Informationen über die Prinzessin unter Verschluss, sondern auch die über viele Menschen, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben wie Hofpersonal und ihre Kunstlehrer.“ Die gesamten Primärquellen, musste Hawksley feststellen, sind vom Königshausarchiv in Windsor einkassiert und unzugänglich gemacht worden. „Louises Leben und Persönlichkeit wurden über Jahrzehnte hinweg einer sorgfältigen Desinfizierung und Schönung unterzogen“, klagt die Autorin der vergangene Woche veröffentlichten Biografie mit dem Untertitel „Königin Viktorias rebellische Tochter“.

Louise Caroline Alberta wurde am 18. März 1848 im Buckingham-Palast geboren. (Ihre älteste Schwester heiratete zehn Jahre darauf den späteren 99-Tage-Kaiser Friedrich III.) Nach Ansicht der Monarchin, die wenig mütterliche Gefühle besaß, war die vierte der fünf Töchter, die sie ihrem deutschen Prinzgemahl Albert schenkte, „peinlich, zurückgeblieben, schwierig, aufsässig und frech“. Zeitgenossen hingegen schildern die hochgewachsene blonde Schönheit als lebhaft, intelligent, vielseitig künstlerisch begabt, frei von Dünkel und mit ausgeprägt frühfeministischer Lebenseinstellung.

Bald nach dem 18. Geburtstag verguckte sie sich in den Privatlehrer ihres bluterkranken Bruders Leopold, einen schmucken Leutnant namens Walter Stirling. Dass die Zuneigung zu einer Schwangerschaft führte, kann die Biografin mangels Dokumentenzugang nur an Indizien veranschaulichen: Im Sommer 1866 wurde der bis dahin von den Royals als Hausfreund behandelte Stirling plötzlich zu seinem Regiment zurückbeordert und später nach Kanada versetzt; die sonst immer schlicht gekleidete Louise trug auf einmal reich mit Polstern, Rüschen, Schleifen und Falten verzierte Gewänder, versteckte ihren Leib hinter Muffs und langen Schals; zudem verzichtete sie auf eine Zofe und verließ bei Ausfahrten kaum je die Kutsche. Einer Freundin schrieb sie: „Ich sitze in meinem Zimmer und weine. Warum, das kann ich Dir nicht sagen. So viele Dinge sind nicht, wie sie sein sollten.“

Obwohl kein Geburtsschein existiert, spricht alles dafür, dass Victorias diskreter Leibgynäkologe Sir Charles Locock die Prinzessin im Dezember von einem Knaben entband, den er seinem eigenen Sohn Frederick zur Adoption übergab. Der Junge bekam den Namen Henry Locock und wurde Offizier. Sein Tod Ende 1907 ist fast so rätselhaft wie seine Geburt: Bei Kelowna in Kanada, wohin er auf der Suche nach seinem leiblichen Vater gereist war, stürzte er aus einem fahrenden Zug. Unfall, Suizid oder Auftragsmord? Lucinda Hawksley bleibt nicht nur die Antwort, sondern selbst die Frage schuldig. Sie verweist lediglich darauf, dass sowohl Stirling als auch Frederick Locock erhebliche Geldsummen erhielten, vermutlich als Schweigelohn vom Hof, und dass von unbekannter Hand ein halbes Jahr nach Henrys Tod eine großzügige Stiftung für seine sechs Kinder eingerichtet wurde. Henrys Nachkommen haben nie daran gezweifelt, dass Prinzessin Louise seine Mutter war. Ein Antrag von Nicholas Locock, einem heute 82 Jahre alten Enkel Henrys, auf DNA-Abgleich der Gebeine von Walter Stirling und der sterblichen Überreste der Zarin Alexandra, einer Enkelin von Königin Victoria, scheiterte jedoch 2006 in höchster Kirchengerichtsinstanz.

Fast auf den Tag genau 24 Jahre nach der Geburt des unliebsamen Enkelkindes musste Victoria einen weiteren Skandal um ihre „rebellische“ Tochter verschleiern. Zum Unwillen ihrer Mutter hatte sich Louise zur geachteten Bildhauerin ausbilden lassen. Die Unterweisung durch den aus Wien stammenden, aber seit 1862 in England lebenden berühmten Künstler Edgar Joseph Böhm erschöpfte sich indes nicht im Platonischen. Auf Schloss Balmoral in Schottland ertappten die Königin und ihr Witwentröster John Brown das junge Paar 1869 in flagranti. Die Beziehung florierte dennoch weiter, überlebte Louises Heirat mit dem homosexuellen Marquis Lorne und zahlreiche andere Affären, bis sie im Dezember 1890 zu einem dramatischen Schlusspunkt gelangte: Böhm, 56, und ebenfalls verheiratet, erlag in seinem Londoner Atelier beim Liebesspiel mit der 14 Jahre jüngeren und stets auf Fitness bedachten Prinzessin einem Herzschlag.

Louise lebte noch fast ein halbes Jahrhundert weiter, bis 1939, und machte sich einen Namen als Bildhauerin und Malerin und auch als Vorkämpferin für Frauen- und Kinderrechte.