Das Abendblatt begleitet in einer Serie Hamburgs neue Gastarbeiter. Die Klempner Isaac Rafael Bañuls Llacer und Juan Francisco Cuello Santacreu sind jetzt seit einem Monat hier. Die Spanier erzählen von pingeligen Deutschen und Spannungen in der Männer-WG

Als Isaac Rafael Bañuls Llacer vom Baucontainer rüber zur Baustelle ging, ist er nass geworden. Es regnet, schon seit Tagen. Und wie. Heute arbeitet Isaac im siebten Stock, in einer klammen Rohbauwohnung. Er soll Abwasserleitungen verlegen. Seine Laune könnte besser sein.

So ist Hamburg, das haben ihm alle in Spanien gesagt. Es regnet, und es ist kalt. „Und S-Bahn kaputt“, sagt Isaac und zieht eine Grimasse. „Wie Fisch in Dose“ habe er sich gefühlt, als dann endlich eine Bahn kam.

Einen Monat ist es jetzt her, dass Isaac Rafael Bañuls Llacer, 30, und Juan Francisco Cuello Santacreu, 32, aus ihren Heimatorten in der Nähe von Valencia zum Arbeiten nach Hamburg gekommen sind. Sie haben ihre Heimat verlassen, um vor der Krise zu fliehen – so wie Tausende andere junge Spanier. Hier in Deutschland herrscht Fachkräftemangel.

Am 29. September sind sie in Hamburg gelandet. Am Flughafen haben sie zum ersten Mal Frank Körbelin gesehen, den Chef der Bauklempnerei „Auf der Hart“. Körbelin hatte ein Personalproblem: In Neumühlen entsteht das „Elbdeck“ mit rund 100 Wohnungen. Körbelins Firma ist zuständig für Wasserrohre, Feuerlöschrohre, Abwasserrohre und die Bäder. Körbelin brauchte die beiden Spanier dringend.

An diesem Tag arbeitet Isaac mit seinem Kollegen Alex. „Bohrmaschine“, sagt Alex zu Isaac. Isaac wiederholt: „Bohrmaschine“. Dann greift er sich den Bohrer und bohrt. Er weiß, dass er jetzt eine Halterung für den Anschluss einer Waschmaschine anbringen soll. Alex sagt, dass er nur in Schlagworten mit Isaac kommuniziere. Ganze Sätze wären zu schwierig.

Isaac ist nicht mehr der fröhliche junge Mann, der Ende September aus dem Flugzeug gestiegen ist. Er wirkt ernst, nachdenklich. Etwas belastet ihn.

Plötzlich steht Juan in der Wohnung des Rohbaus. Er arbeitet in dieser Woche mit anderen Kollegen in der „Endmontage“, in einem anderen Teil des Gebäudes. Er installiert Waschbecken, WC-Becken. „Hallo, wie geht’s?“, ruft er. Er wirkt aufgekratzt, ganz anders als am Anfang seiner deutschen Zeit. Juan berichtet, dass er zweimal in der Woche zum Deutschkursus in die Volkshochschule Harburg geht. Den Tipp hat er von anderen Exil-Spaniern in Hamburg bekommen, die er per Facebook ausfindig gemacht hat. In den vergangenen Wochen hat er jeden Tag Deutsch gepaukt. Sein Kollege Jens Michelsen kontrolliert in den Pausen seine Hausaufgaben. Wer sich mit Juan unterhalten will, kann das schon jetzt auf Deutsch tun. Wohlgemerkt: Er hat vorher noch nie eine Fremdsprache gelernt. Auch in den Pausen vergräbt er sich in sein Deutschkursus-Buch, sagen die deutschen Kollegen. Sie sagen auch, dass Isaac wohl eher der Auffassung sei, dass er die Sprache auf dem Bau lerne.

Bis die beiden Spanier das gleiche Niveau der deutschen Kollegen haben, wird wohl ein Jahr vergehen. Genau das Jahr, für das sie erst mal bei der Firma „Auf der Hart“ angestellt sind.

Würden die Spanier die Firma nach diesem Jahr verlassen, hätte sich die Investition für Firmenchef Frank Körbelin nicht gelohnt: Er hat 7000 Euro für die Vermittlung der beiden Arbeitskräfte gezahlt. Außerdem hat er den beiden die Wohnung in Wilhelmsburg gesucht und ihnen seine Mitarbeiterin Kati Dahl zur Seite gestellt. Sie ist in Spanien aufgewachsen.

An einem anderen Tag im November sitzen Körbelin und Dahl in einem schmucklosen Büro in Jenfeld. Hier ist die Zentrale der Bauklempnerei.

Körbelin ist zufrieden mit den ersten Wochen der Spanier. Sie hätten gute Arbeit geleistet, sagt er. Obwohl die beiden nicht die gleiche Ausbildung haben wie die deutschen Kollegen.

Körbelin ist davon überzeugt, dass sein spanisches Experiment Erfolg hat. Es geht auch gar nicht anders, sagt er. „Deutschland braucht die Zuwanderung von Arbeitskräften. Irgendjemand muss ja meine Rente zahlen“, sagt er. Er sieht die große Chance durch die EU, die Arbeitskräfte nicht nur zu holen, sondern auch zu halten. „Es ist meine Aufgabe, dass sich unsere neuen Mitarbeiter mit ihren Begabungen hier verwirklichen können.“ Fast klingt der stolze Handwerker wie ein Sozialtherapeut.

Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig: Früher bewarben sich auf einen Ausbildungsplatz bei ihm in der Firma 80 junge Menschen. Jetzt seien es höchstens zehn – und diese seien oft nicht geeignet.

Das hatte auch der Vorarbeiter Jan-Philipp Schilling auf der Baustelle in Neumühlen erzählt. In seiner Berufsschulklasse waren 30 junge Männer. Ein Lehrer habe sie gefragt, wer eigentlich Lust auf den Klempnerjob habe. Fünf meldeten sich. Schilling erzählte von aggressiven Auszubildenden, von unfähigen Sozialtherapeuten, die viel zu viel mit sich machen ließen. Von insgesamt 30 Auszubildenden seien gerade mal zwei Klempner geworden.

Frank Körbelin sagt, dass er dazu übergegangen sei, seine Mitarbeiter selbst auszubilden. Nach der Lehre. Selbstkritisch sagt er auch, dass das Klempnerhandwerk durch den Fachkräftemangel an Qualität einbüße. Früher, da löteten Klempner die Trinkwasserleitungen aus Kupfer noch zusammen. Heute werden die Rohrenden abgeschnitten, dann mit Muffen versehen und mit einer Zange zusammengepresst. Das ist einfacher – und für Arbeitskräfte mit weniger Qualifikationen leichter erlernbar. Aber eben nicht mehr altes Handwerk. In Spanien werden die Rohre nicht mal verpresst, sondern häufig verklebt.

Isaac und Juan hingegen hatten in den ersten Wochen ganz andere Probleme. Kati Dahl ist mit ihnen zum Einwohnermeldeamt gegangen, sie hat ihnen geholfen, ein Konto zu eröffnen und die HVV-Monatskarte zu kaufen.

Sie hat sich die Wilhelmsburger Wohnung mal angesehen, „mit den Augen einer Frau“, wie sie sagt. Danach schenkte sie den beiden einen Schreibtisch, Gardinen und Lampen. Im Internet trieb sie einen Kleiderschrank auf. „Die würden sonst jetzt noch aus dem Koffer leben“, sagt Dahl. Heute sehen die Zimmer aufgeräumt aus. Sie ist mit den beiden zu Ikea gefahren. Es muss wohl das erste Mal gewesen sein, dass sie in dem Möbelhaus waren, vermutet Dahl. Eine halbe Stunde hätten die Spanier andächtig in der Haushaltswarenabteilung gestanden und in die Regale gestarrt. Danach hätte jeder von ihnen einen Becher im Wert von 59 Cent gekauft.

Kati Dahl hat die beiden zu sich nach Hause eingeladen. Sie hatte Fleisch, spanischen Käse, Chorizo, Bier gekauft. Im Oktober war das Wetter noch gut in Hamburg, sodass sie in Dahls Garten zusammen gegrillt haben.

Mittlerweile steht nicht nur für Dahl fest, dass die Männer-WG in der Wilhelmsburger Wohnung gar keine Gemeinschaft ist. Zu unterschiedlich sind die beiden Spanier. Vor ihrer Abreise nach Deutschland hatten sie sich noch nie gesehen.

Die Kollegen vom Bau erzählen, dass die beiden bei der Arbeit kaum miteinander reden. Auch in den Pausen nicht. Nach der Arbeit komme es vor, dass die beiden getrennt nach Hause fahren. Und auch zu Hause gibt es Probleme: „Isaac will nicht die Mama von Juan sein“, sagt Kati Dahl. Isaac habe sich beschwert, dass Juan nichts im Haushalt machen wolle.

16.30 Uhr, Feierabend. Juan und Isaac sitzen im Schellfischposten am Fischmarkt, von der Baustelle hierher ist es nicht weit. Sie trinken ein Bier, essen Fischfrikadelle mit Kartoffelsalat. Über ihre Differenzen sprechen sie nicht. Sie klingen nur an, wenn sie berichten, dass jeder für sich selbst einkauft: Juan isst gerne Gemüse, Isaac gerne Fleisch. Isaac kocht, Juan kocht nicht. Isaac raucht, Juan raucht nicht. Wenn demnächst Juans Freundin aus Spanien für ein Wochenende zu Besuch kommt, will das Paar für die kurze Zeit in ein Hotel ziehen. Es ist wohl besser, wenn jeder sich im kommenden Jahr eine eigene Wohnung sucht.

Lieber reden Juan und Isaac über die deutschen Kollegen. Nett seien die und verständnisvoll. Nur manchmal etwas pingelig. Da ist zum Beispiel die Sache mit den 1,5 Millimetern. So breit müssen die Fugen in einem Badezimmer im „Elbdeck“ sein. Juan hat sich gewundert, dass seine Kollegen die Fugen nachmessen. „1,5 Millimeter!“, ruft er, „nicht 1,6 oder 1,7!“ Juan schüttelt den Kopf. Wenn die Abstände nicht stimmen, muss nachgebessert werden. In Spanien mache sich über die Breite der Fugen niemand große Sorgen, sagt er.

Für die beiden ist es das Wichtigste, dass ihre Infrastruktur erst mal steht: Job, Wohnung, Bankkonto. Sie haben ihr erstes Gehalt bekommen: 2056,83 Euro brutto, ihnen bleiben davon 1397,52 Euro netto.

Isaac hat sich von dem Geld einen Tablet-Computer gekauft. Mit dem Gerät kann er E-Mail schreiben, surfen und übers Internet telefonieren. Allerdings: Das mit dem Telefonieren klappt in der Wohnung nicht so gut, der Empfang ist zu schlecht. Deshalb geht er vor die Tür. Isaac sagt, dass die Beziehung zu seiner Freundin unter der großen Entfernung leide.

Seine Freundin hat zusammen mit ihrem Bruder ein Haus gekauft, der Bruder kann seinen Kredit nicht mehr abzahlen. Die Freundin hat drei Jobs: Sie verkauft Orangen, bis sie wieder zu Hause ankommt, ist es manchmal 3 Uhr morgens. Morgens geht sie putzen. Und am Wochenende arbeitet sie bei McDonald’s. Sie haben täglich ein Zeitfenster von zehn Minuten zum Telefonieren. Isaac sagt, dass er seiner Freundin Geld schicken will. Er will, dass sie nach Deutschland kommt, damit alles besser wird. Aber seine Freundin will ihre Familie nicht im Stich lassen.

Juan sagt, seine Freunde zu Hause schreiben häufig, dass er zurückkommen solle und dass es ein Fehler war zu gehen. „Die sind nur neidisch“, sagt Juan, „denn sie wollen selbst weg.“

Und was vermissen sie am meisten? „Die Sonne“, sagt Juan. Zu Hause hat es jetzt 25 Grad. „Meine Freundin“, sagt Isaac, und das Leben auf dem Dorf. „Und die Freiheit, in mein Auto steigen zu können und einfach loszufahren.“

An einem Freitagabend um 23 Uhr stehen Juan und Isaac zum ersten Mal auf der Reeperbahn. Von Hamburg haben sie bisher noch so gut wie nichts gesehen. Jetzt sehen sie überall grelles Licht, hören überall Lärm. Schüchtern schauen sie sich auf der Großen Freiheit um. Sie sind beeindruckt. Auch von Rosi’s Bar auf dem Hamburger Berg. Die beiden erzählen von den Bars in ihrer Heimat, in denen es viel lauter zugeht, weil die Leute viel kommunikativer seien. Aber das hier sei auch nicht schlecht, räumt Isaac ein. Und als ein paar deutsche Jungs Juan fragen, ob er mit ihnen kickern will, sagt er Ja.

„Hamburgs neue Gastarbeiter“ ist eine Abendblatt-Serie in loser Reihenfolge. Die ersten drei Folgen stehen zum Nachlesen im Internet unter abendblatt.de/themen/gastarbeiter-hamburg