Die norwegische Kleinstadt Rjukan liegt von Oktober bis März im Schatten. Nun bekommt auch sie etwas Sonne. Zusammen mit deutschen Ingenieuren bauten die Norweger drei riesige Spiegel.

Oslo. Die Chinesen wollen mit dem Staatsfernsehen kommen, die Amerikaner schicken CBS und die Briten ihre BBC. Ausgerechnet nach Rjukan, einem Kaff mitten in der wilden Natur Norwegens, weit weg von Autobahnen, Flughäfen und bislang auch von weltbewegenden Nachrichten. „Das kann man nur mit einem Schneeball vergleichen, der anfängt loszurollen und immer größer wird“, sagt der Bürgermeister Steinar Bergsland. „Es ist ja auch wirklich ein komisches Projekt.“

Deutsche Ingenieure halfen bei der Installation der drei riesigen Spiegel

Genau 3473 Einwohner leben in der Kleinstadt 180 Kilometer westlich von Oslo, und sie alle kennen das „komische Projekt“. Es geht um das fehlende Licht im engen Vestfold-Tal, das von Oktober bis März kaum noch den Ort erreicht, weil die tief stehende Wintersonne von den Bergen abgeschattet wird. Schon vor 100 Jahren kam die Idee auf, Spiegel aufzustellen, um das Licht auf die Stadt umzuleiten. Bislang wurde aber nichts daraus, der Plan als Quatsch abgetan, der „aus einem Donald-Duck-Comic kommen könnte“, wie es in der Stadt heißt.

Zusammen mit deutschen Ingenieuren bauten die Norweger jetzt aber doch drei riesige Spiegel 400 Meter oberhalb der Stadt an die Felswände. Die Spiegel, im Fachjargon auch Heliostate genannt, bewegen sich automatisch der Sonne hinterher und beleuchten gleichmäßig den Marktplatz von Rjukan, also nur einen kleinen Fleck mitten in der Stadt. Es wird aussehen, als ob ein Scheinwerfer eine Bühne beleuchtet, und im Lichtkegel wird es dann auch noch schön warm werden.

Seit 2006 ist ein Heliostat, bestehend aus 14 Einzelspiegeln, auch schon in Viganella im Piemont in Betrieb, dem angeblich dunkelsten Ort Italiens. Zwischen November und Februar steigt dort die Sonne für 83 Tage nicht über die Berggipfel. Viganella wurde so zum weltweit ersten Ort, der im Winter gespiegeltes Sonnenlicht hat.

Die norwegische Kommune kostete das Projekt rund fünf Millionen Kronen (etwa 618.000 Euro) – eine gute Investition, wie Bürgermeister Bergsland meint. „Es gab ein paar Proteste, als die Spiegel aufgebaut wurden, aber jetzt sind die meisten Leute dafür“, sagt er.

Die Idee für den Spiegel kam zuerst im Jahr 1913 auf, als Rjukan gar kein verschlafenes Nest war, sondern eine aufstrebende Industriestadt. Zwei Jahre zuvor hatte das Industrieunternehmen Norsk Hydro einige Kilometer westlich von Rjukan das Wasserkraftwerk Vemork errichtet, das zu dieser Zeit das größte der Welt war. Weit über Norwegens Grenzen hinaus wurde Rjukan während des Zweiten Weltkriegs bekannt: Norwegische Forscher hatten im Chemie- und Kraftwerk Vemork bereits vor dem Krieg mit der Erforschung und der Produktion von sogenannten schwerem Wasser begonnen. Schweres Wasser war ein notwendiges Hilfsmittel zur nuklearen Kettenreaktion und Kernspaltung.

Mit dem „Unternehmen Weserübung“ und der Besetzung des neutralen Norwegen durch deutsche Truppen im April 1940 fielen die Forschungsergebnisse der Wissenschaftler und die vorhandenen Bestände an schwerem Wasser nach erbittertem Kampf um die Norsk-Hydro-Werke in die Hände der deutschen Besatzer.

Vor zehn Jahren schob ein Künstler das ehrgeizige Projekt wieder an

Ein bisschen Weltgeschichte hat sich also sogar hier abgespielt, aber die Spiegel würden heute nicht stehen, wenn sich nicht Martin Andersen der Sache angenommen hätte. Andersen ist Künstler und lebt seit zehn Jahren in Rjukan. „Die ganze Sache ist wirklich verrückt, aber wenn man darüber nachdenkt, gibt es einige Nebeneffekte, die man vorher gar nicht gesehen hatte“, sagt er. Andersen begann 2003, das Heliostate-Projekt wieder aufzunehmen, und kümmerte sich um die Planung, Forschung und Finanzierung.

Die Norweger rechnen mit vielen zusätzlichen Besuchern, die nicht nur auf den Brg Gaustatoppen klettern, sondern auch die neuen Spiegel bewundern wollen. Am 31. Oktober wird das Lichtspektakel offiziell eröffnet. Die Hotelzimmer in der Stadt sind schon ausgebucht. Dann schaut die ganze Welt zu, wie die Sonne in Rjukan auch am Abend scheint.