Mit der preisgekrönten Satire-Tageszeitung „Postillon“ hat der Blogger den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Mit schrägen Nachrichten hat er eine freche Parallelwelt zum Journalismus geschaffen.

Fürth. Stefan Sichermann kniet auf dem Boden. Im Esszimmer seiner Wohnung im bayerischen Fürth kramt er dünne Kartons unter einem Regal hervor. „Die sind bestimmt schon ganz staubig“, sagt er und öffnet ein paar Boxen. Was er nun in seinen Händen hält, sind Auszeichnungen: Der Deutsche Webvideo Preis oder der Grimme Online Award. Aufstellen mag der 32-Jährige die wuchtigen Plastiken nicht: „Ich habe Angst, dass sie mal umfallen und meine Tochter erschlagen.“

Schnell schiebt er die Trophäen wieder unter sein Regal. Er mache sich nicht viel daraus, sagt er, vor allem weil er nicht gern im Mittelpunkt stehe. Normalerweise sitzt der gelernte Werbetexter tagsüber alleine in seinem Arbeitszimmer, das gleichzeitig der Wickelraum seiner anderthalbjährigen Tochter ist.

Was er dort schafft, ist der Grund für die Auszeichnungen: Sichermann ist Gründer und Betreiber der Online-Satire-Tageszeitung „Der Postillon“. Auf seiner Seite ist etwa zu lesen, dass die NSA beruhigt ist, weil es in deutschen Privat-Mails und Telefonaten immer weniger um den NSA-Skandal geht.

Seit der Gründung des Onlineportals im Oktober 2008 sind die Zugriffszahlen kontinuierlich gestiegen. Mittlerweile zähle sein Blog am Tag rund 50.000 Besucher, innerhalb von 24 Stunden werde seine Seite gut 100.000 mal aufgerufen, sagt er. Unter seinen Artikeln reihen sich die Kommentare seiner Fangemeinde: Ein Eintrag schaffte es auf 4000.

Dass es einmal soweit kommt, hätte Sichermann selbst nicht gedacht. Es war ein Arbeitskollege, der ihn auf die Idee brachte, ein Blog zu betreiben: „Er hat mich jeden Tag damit genervt und erzählt, wie toll das sei.“ Damals arbeitete der ehemalige Lehramtsstudent noch in einer Hamburger Werbeagentur und wohnte mit seiner Freundin in Lübeck.

Privates von sich wollte er aber im Internet nicht preisgeben, und so kam ihm die Idee mit der Satire-Plattform – inspiriert durch ein ähnliches Format in Amerika. Anfangs betrieb er den „Postillon“ in seiner Freizeit. „Doch der Arbeitsaufwand nahm ständig zu“. Als seine Freundin schwanger wurde, zog es das Paar zurück in die fränkische Heimat – und ihn in die Selbstständigkeit.

Seitdem denke er hauptberuflich über Schwachsinn nach, sagt er lachend. Er habe sein Hobby zum Beruf gemacht. Sichermann ist einer der wenigen Blogger in Deutschland, die von der Werbung auf ihren Internetportalen leben können. Hinzu kommt bei ihm noch das Radio: Seit Anfang des Jahres präsentiert Bayern 3 mehrmals täglich die neuesten Satire-Nachrichten des „Postillons“. Auch ein Video-Projekt ist seit einiger Zeit online, Sichermann möchte das künftig vorantreiben.

Mit dem Kürzel „(dpo)“ vor seinen Meldungen nimmt er in Kauf, dass unbedarfte Leser im ersten Moment an die Veröffentlichung seriöser Nachrichtenagenturen glauben. Wo die Satire ihre Grenzen hat, kann der junge Vater schwer beurteilen: „Ich finde, man sollte alles machen dürfen“, sagt er, „aber ich mach' nicht alles.“ Er nehme beispielsweise keine Privatpersonen auf die Schippe und gehe sensibel mit dem Thema Tod um. Zu seinen Lieblingsthemen gehören die religiösen: Mit Menschen, die sich „religiös verletzt“ fühlen, habe er wenig Mitleid. „Es geht hier schließlich um eine fiktive Sache.“