Die Bergung der „Costa Concordia“ ist geglückt. Seit Dienstag steht das Kreuzfahrtschiff wieder aufrecht. Doch die Arbeiten sind noch lange nicht zu Ende. Jetzt werden die Schäden überprüft – und die Tresore in den Kabinen geleert

Um zehn Uhr treten sie vor die Presse. Sie sind alle gekommen, um den Moment auszukosten und sich im Licht der Sieger zu baden. Es gibt Gutes zu vermelden: Die „Costa Concordia“ steht 20 Monate nach der Havarie wieder aufrecht. In die Vertikale gezogen in einer riskanten Bergungsaktion. Pier Luigi Foschi und Michael Thamm, der Präsident und der Vorstandschef der Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere, nehmen auf dem Podium im Pressezelt Platz. In der Mitte sitzt Franco Gabrielli, der staatliche Einsatzleiter, rechts neben ihm der Bürgermeister Giglios Sergio Ortelli. Insgesamt drängen sich acht Personen an den Tisch im Pressezelt. Es ertönt Applaus. Die Bürger klatschen und pfeifen.

Sie lassen sich von der Euphorie des Augenblicks regelrecht wegtragen. „Die Bergung der ,Costa Concordia‘ zeigt, was möglich ist, wenn Staat und Privatsektor zusammenarbeiten“, sagt Foschi. Costa-Chef Thamm bedankt sich im Namen der 20.000 Angestellten seines Unternehmens. „Die ,Costa Concordia‘ steht wieder aufrecht. Und auch wir stehen wieder aufrecht“, sagt Thamm. „Ich bin nicht nur optimistisch für das Unternehmen, sondern auch für Italien.“ Der staatliche Einsatzleiter Gabrielli rattert eine lange Liste mit Personen herunter, bei denen er sich bedankt: „Allen voran müssen wir den magischen elf danken.“ Die magischen elf, das sind die elf Personen, die auf dem Kontrollschiff den Einsatz geleitet haben.

Vorausgegangen waren 19 Stunden des Zitterns und Bibberns. Ab 9 Uhr am Montag bewegte sich die „Costa Concordia“ Millimeter um Millimeter nach oben. Um 65 Grad musste das Schiff rotiert werden. Zäh ging es voran. Um 12 Uhr sind es drei Grad, um 17 Uhr sind es 10 Grad, um 19 Uhr 13 Grad. Nach Mitternacht sind es 25 Grad. Dann geht alles ganz schnell. Um vier Uhr ist es schließlich vollbracht: Die „Costa Concordia“ steht seit 20 Monaten wieder aufrecht, kerzengerade dümpelt das Kreuzfahrtschiff vor der Insel Giglio.

Die Hälfte des Rumpfs, die seit der Havarie im Januar 2012 im Wasser lag, ist nun für alle sichtbar. Sie ist braun durch Rost und an der Stelle, die auf dem Felsen lag, eingedrückt. Alles wirkt schief und verzogen. „Als wäre sie bombardiert worden“, sagt ein Mitarbeiter des Bergungsunternehmens Titan, der im Morgengrauen in einer Bar sitzt.

Italien atmet auf. Schließlich stand der Ruf des Landes auf dem Spiel. Das Unglück der „Costa Concordia“ kostete 32 Menschen das Leben, darunter zwölf Deutsche. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit des Auslands. Im Falle des Scheiterns wären die Konsequenzen, beispielsweise für die Umwelt, nicht absehbar gewesen.

Die Kosten sind schon jetzt exorbitant. Auf 600 Millionen Euro werden allein die Ausgaben für die Bergung beziffert. „Sie werden weiter steigen“, sagt Costa-Chef Thamm. Die Versicherung werde nur für einen Teil des Gesamtschadens aufkommen. „Wir werden das zahlen, was wir müssen.“ Eine genaue Schätzung, was auf die Kreuzfahrtgesellschaft finanziell zukomme, gebe es nicht.

Es war ein Vorhaben mit enormen Risiken. Noch nie zuvor wurde ein Schiff dieser Größe in die Vertikale gezogen. Die „Costa Concordia“ ist etwa 300 Meter lang und 114.000 Tonnen schwer. Mehr als 4000 Menschen bietet sie Platz. Es war nicht auszuschließen, dass der Rumpf wegen der starken Zugkräfte auseinanderbricht. Doch die Operation gelingt ohne Probleme. Nur einmal müssen störende Kabel in Ordnung gebracht, was eine Stunde in Anspruch nimmt.

Die Bergungsunternehmen Titan Salvage und Micoperi boten ihr ganzes Können auf. Auf der Seite der Küste errichteten sie elf Türme. 56 Stahlketten, jeweils 58 Meter lang und bestehend aus 205 Kilogramm schweren Gliedern, wurden an den Rumpf montiert. Über eine Seilwinde wurden sie auf einer Seite angezogen, auf der anderen Seite dienten sie als Sicherung. Damit die „Costa Concordia“ nicht nach unten abrutscht, wurde eine gigantische Plattform unter Wasser in 30 Meter Tiefe errichtet. Sie besteht aus sechs einzelnen Ebenen. Ergänzt wurde sie durch 1180 Zementsäcke mit einem Volumen von 12.000 Kubikmetern. Insgesamt wurden 30.000 Tonnen Stahl verarbeitet. Das ist das vierfache Gewicht des Eiffelturms.

Um vier Uhr morgens ist die Operation beendet. Ein paar Minuten später folgt die offizielle Verlautbarung. „Wir haben es geschafft“, sagt Gabrielli. Eine Welle der Euphorie bricht sich Bahn. Menschen im Hafen applaudieren. Sie umarmen sich. Der Bürgermeister der Insel, Sergio Ortelli, der den ganzen Tag im Kontrollzelt verbrachte und an der Uferpromenade ruhelos hin- und her tigerte, hat Tränen in den Augen. Die Schiffssirenen ertönen. Es ist ein marines Jubelkonzert.

Gelassen nimmt es Einsatzleiter Nick Sloane. Der Südafrikaner, seit 30 Jahren im Geschäft, stets im weißen T-Shirt, Jeans und mit roter Rettungsweste, feiert bescheiden. Der Salvage Master, der die Anordnungen gab, stößt mit einem Bier an und legt sich für drei Stunden hin. Um 7.30 Uhr steht er in der Bar Fausto am Hafen. Viele Worte verliert er nicht. „Perfekt“ fühle er sich. Das größte Hindernis sei das Wetter gewesen. Er bewegt sich in Richtung des Hotels Demo’s, umgeben von Kameras. „Ich bin stolz und glücklich. Auch für die Bürger von Giglio.“ Auf der Pressekonferenz lässt er sich nicht blicken. Er ist beim Präsidenten der Provinz Grosseto eingeladen.

Die Rotation ist gelungen. Doch die Arbeiten sind bei Weitem nicht beendet. In den kommenden Wochen wird die „Costa Concordia“ stabilisiert und dann genau abgeklopft. Es muss festgestellt werden, wie groß der Schaden ist. Außerdem wird versucht, in die Kabinen einzudringen und das Geld zu bergen, das noch in den Tresoren liegt. Es soll den Passagieren zurückgeben werden. „Das sieht der Vortrag vor, den wir mit Titan und Micoperi haben“, sagte Franco Porchelacchia, der technische Leiter von Costa Crociere.

Die Umweltbehörden werden die Wasserqualität messen. Dann werden auf die Flanke des Schiffes, die im Wasser lag, 15 Stahlkästen geschraubt. Schließlich werden die Stahlkästen entleert, um dem Schiff Auftrieb zu geben. Erst danach kann die „Costa Concordia“ abtransportiert werden. Wohin, das steht noch nicht fest. Mehrere Häfen balgen um den Zuschlag, darunter Civitavecchia in Latium und Piombino in der Toskana. Es geht um Tausende von Arbeitsplätzen.