Stundenlang hatte ein vorbestrafter Geiselnehmer drei Menschen in seiner Gewalt. Sie wurden unverletzt befreit

Ingolstadt. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei hat eine fast neunstündige Geiselnahme im Ingolstädter Rathaus beendet. Nach Angaben der Polizei wurden auch die beiden letzten Geiseln bei der Aktion am frühen Montagabend unverletzt befreit. Der 24 Jahre alte Geiselnehmer wurde von den Spezialkräften niedergeschossen und festgenommen. Am Dienstag soll er dem Haftrichter vorgeführt werden.

Der Täter, der vorbestraft ist und nach Angaben der Polizei massive psychische Probleme hat, soll als Stalker schon seit mehr als einem Jahr eine Rathaus-Sekretärin verfolgt haben. Am Montagvormittag drang er, bewaffnet mit einer Pistole und einem Messer, in das Alte Rathaus der oberbayerischen Stadt ein und brachte die Frau und drei Männer in seine Gewalt.

Am frühen Nachmittag kam auch Ingolstadts Dritter Bürgermeister frei

Die Schusswaffe stellte sich später als Attrappe heraus. Eine vierte Geisel hatte der Täter bereits unmittelbar nach Beginn des Geiseldramas freigelassen. Am frühen Nachmittag konnte dann auch Ingolstadts Dritter Bürgermeister Sepp Mißlbeck (Freie Wähler) das Rathaus verlassen – nach langwierigen Verhandlungen zwischen dem Krisenstab und dem Geiselnehmer.

Der 69 Jahre alte Kommunalpolitiker von den Freien Wählern wurde zunächst von den Ermittlern befragt. „Selbstverständlich ist er beeindruckt von dem, was er den ganzen Vormittag erdulden musste, aber er scheint zumindest körperlich absolut gesund“, sagte Polizeisprecher Hans-Peter Kammerer. Auch den anderen beiden Geiseln gehe es den Umständen entsprechend gut.

Die Polizei hatte sich schließlich für einen Zugriff durch das SEK entschieden, weil sich die Situation am späten Nachmittag zugespitzt hatte. Die Einsatzkräfte hätten die Aussagen des Täters nicht mehr eindeutig zuordnen können. „Wir haben auf Zeit spielen können und das bewusst genutzt“, sagte Ingolstadts Polizeivizepräsident Günther Gietl. Die Polizei wollte eine Situation wie im Jahr 2009 im Straubinger Hochsicherheitsgefängnis verhindern. Damals hatte ein Häftling eine Therapeutin als Geisel genommen und vergewaltigt.

Das SEK hatte sich zuvor seit den Vormittagsstunden im Umfeld des Rathauses auf den Zugriff vorbereitet. Mehr als 200 Polizisten hatten den Rathausplatz weitläufig abgesperrt, Geschäfte mussten schließen. Ursprünglich sollte am Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Rahmen ihrer Wahlkampftour mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) auf dem Rathausplatz auftreten, der Termin wurde jedoch abgesagt. Auch ein anschließender Wahlkampftermin in Regensburg wurde später gestrichen.

Der Täter habe wegen des Stalkings der Mitarbeiterin Hausverbot im Rathaus gehabt, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). In den vergangenen Wochen sei der Konflikt eskaliert, nachdem der Mann gegen das Hausverbot verstoßen habe. „Der Begriff Stalker erscheint mir etwas verharmlosend, weil er doch eine ganze Liste von Vorstrafen hat, die weit über das hinausgeht, was man als Stalking bezeichnet“, sagte Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) über den 24-Jährigen. Dabei sei es auch um Körperverletzung gegangen. Der Mann habe mehrere Angestellte der Stadt bedroht, außerdem habe er Mitarbeiterinnen sexuell belästigt, betonte der Rathaus-Chef.

Der 24-Jährige war am Vormittag kurz vor 9.00 Uhr in das Alte Rathaus der oberbayerischen Stadt gegangen und hatte die Geiseln in seine Gewalt gebracht. Das Motiv des Mannes blieb während der Geiselnahme relativ unklar. „Er möchte, dass wir einen Bescheid aufheben“, sagte Rathauschef Lehmann. Dabei ging es offenbar um das Hausverbot für die städtischen Ämter.

Erst Ende Juli war der Täter zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden

Kurz vor der Beendigung der Geiselnahme hatte der 24-Jährige Tabletten und Essen verlangt. Daraufhin wurde ihm Döner-Portionen ins Rathaus gebracht. Frühere Psychiater des Mannes standen der Polizei beratend zur Seite, noch vor wenigen Wochen war der wohnsitzlose Mann in psychiatrischer Behandlung.

Zudem wurde er Ende Juli wegen Stalkings, Beleidigung und Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Laut einem Gutachter sei damals nicht zu erwarten gewesen, dass der Mann eine schwerwiegende Straftat begeht, erklärte Ingolstadts Leitender Oberstaatsanwalt Helmut Walter.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) reagierte erleichtert auf das Ende der Geiselnahme und dankte den Einsatzkräften: „Sie haben professionell, konsequent und klug agiert, um das Leben der Geiseln zu retten.“ Ähnlich äußerte sich Herrmann: „Das ist ein großartiger Erfolg“, sagte der Innenminister.