50-jähriger Jurist aus München stirbt nach Zusammenstoß. Bürgermeister will Verkehr auf Wasserwegen neu regeln

Rom. Es ist Mittag in Venedig. Die Sonne lässt das Wasser im Kanal glitzern, und die Bugwellen der Vaporetti im Canal Grande klatschen an die Fassaden mittelalterlicher Palazzi. Die Boote sind mit fröhlichen Reisenden gefüllt, die sich ihren Traum von einem Besuch in der Lagunenstadt erfüllt haben. Für eine Familie aus Deutschland hat sich der Urlaub in Venedig am Wochenende auf dramatische Weise in einen Albtraum verwandelt.

Menschen, die am Fuß der Rialto-Brücke stehen, ist das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Eine Frau sitzt weinend in einer Gondel, ihr schwerverletzter Mann liegt blutüberströmt in ihren Armen. Daneben stehen ein kleines, blutendes Mädchen und zwei Jungen in kurzen Hosen. Die Kinder starren fassungslos auf ihren sterbenden Vater.

Die sommerliche Fahrt in einer Gondel auf dem Canal Grande, der prachtvollen Wasserstraße, die sich bis zur Lagune durch Venedig schlängelt, wurde am Sonnabendmittag nicht Highlight zum Abschluss der lang ersehnten Reise einer Familie aus München, sondern zur Tragödie. Stunden nach dem Unfall auf dem Wasser stirbt Joachim Vogel, Familienvater aus München. Der 50-jährige Strafrechtsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität erliegt seinen schweren Verletzungen auf dem Weg ins Krankenhaus. Später versuchen die Behörden, die Ereignisse zu rekonstruieren: Die Gondel, die Vogel mit seiner Ehefrau Ilse und den drei Kindern bestiegen hatte, war mit einem Vaporetto-Wasserbus zusammengeprallt.

„Es war ein wunderschöner Urlaub, heute wollten wir abreisen“, sagte Vogels Ehefrau Ilse später den venezianischen Reportern. Sie verließ das Krankenhaus am Arm der deutschen Honorarkonsulin Paola Nardini, die ihr Geleit angeboten hatte. Zuvor hatte sie vor den Augen der entsetzen Touristen verzweifelt versucht, ihren Mann wiederzubeleben. Joachim Vogel starb, weil er seine Kinder retten wollte. Er soll sich – wie Augenzeugen berichteten – im Augenblick des Aufpralls vor sie geworfen haben. Tatsächlich blieben Ehefrau Ilse und zwei Söhne unverletzt. Die dreijährige Tochter erlitt Schnittverletzungen im Gesicht, die später im Krankenhaus behandelt wurden.

Offenbar war das hohe Wasserverkehrsaufkommen eine Ursache für den Unfall: Bei einem plötzlichen Stau mehrerer Vaporetti-Boote unter der berühmten Rialto-Brücke hatte das Schiff der Linie 1 unerwartet den Rückwärtsgang eingelegt, höchstwahrscheinlich, um anderen Booten auszuweichen. „Das Vaporetto hat die Gondel mit dem Heck gerammt“, soll Ilse Vogel der Konsulin Nardini erzählt haben. Ihr Mann wurde von einer hervorstehenden Reling eingequetscht.

Venedigs Gondolieri trugen am Sonntag Trauer. Am Mittag traf ein Umzug der Gondeln am Unfallort ein, wo eine Messe gehalten wurde. Ein Teil der Gondolieri hatte nach dem Unfall am Sonnabend für 24 Stunden die Arbeit niedergelegt. Der Gondolieri-Verband will nun die Kosten für die Beerdigung von Joachim Vogel übernehmen.

Später wurden spontane Proteste der Gondolieri laut. Für den Präsidenten des Gondolieri-Verbandes, Aldo Reato, sind Chaos und Fülle die Auslöser für den Unfall. Er sprach von einer „angekündigten Tragödie“. Er sagte: „Es gibt zu viele Motorschiffe, viele sind zu schnell, und es herrscht kaum Klarheit über die Verkehrsregeln.“ Ein Sprecher des Verbandes, Nicola Falconi, ergänzte: „Der Kanal ist seit einigen Jahren total überfüllt, aber die Straße ist nun mal nur so breit, wie sie im Mittelalter gebaut wurde.“

Auch Venedigs Bürgermeister Giorgio Orsoni zeigte sich „schwer erschüttert“. Er sagte, dass der Verkehr auf Venedigs Wasserstraßen nun endgültig neu geregelt werden müsse. „An der Unfallstelle herrscht zu dichter Verkehr.“ Dies dürfte auch der Grund für den Unfall am Sonnabend sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung. Der Unfall ist der dritte dieser Art allein in diesem Jahr.

„Der Kanal ist von Kähnen bevölkert“, berichtete schon Goethe aus Venedig – nur waren die damals nicht motorisiert und auch nicht so zahlreich. Heute durchqueren täglich bis zu 3500 Boote die Stadt, schwerfällige Vaporetti-Wasserbusse, schnelle Wassertaxis, private Wasserlimousinen und Frachtkähne. Täglich steigen bis zu 30.000 Touristen auf die Schiffe, meist vom Hauptbahnhof Santa Lucia bis in die Lagune. Die langsamen Gondeln, die nur dank der Ruderkraft des Gondoliere vorwärtskommen, sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer.

Der moderne und stetig wachsende Massentourismus garantiert Venedig zwar wirtschaftliche Sicherheit, hat aber für die Stadt und Einwohner auch viele Schattenseiten.