Die Stadt Lüderitz soll nach dem Willen von Staatsoberhaupt Pohamba Naminüs heißen. Die Bewohner sind dagegen. Im abgeschiedenen Lüderitz haben die Menschen offenbar eine ganz eigene Identität entwickelt.

Lüderitz. Lüderitz ist ein seltsamer Ort. Das fängt schon mit dem Namen an: Das Küstenstädtchen liegt in Afrika, an der Atlantikküste Namibias. Ein einsames Relikt aus Kaiser Wilhelms Kolonialzeit, als Namibia noch „Deutsch-Südwest“ hieß. Den Namen der Stadt will Staatsoberhaupt Hifikepunye Pohamba nun tilgen. Per Dekret ließ er vergangene Woche erklären, die Stadt heiße ab sofort Naminüs. Doch er hatte die Rechnung ohne deren Bewohner gemacht. Denn die wollen ihren deutschen Namen behalten, Kolonialzeit hin oder her.

Das verschlafene Nest, das mit seinen deutschen Jugendstil-Bauten trotzig im Fels über der windigen Lüderitzbucht thront, wird plötzlich aktiv. Die Einwohner starteten eine SMS-Kampagne, binnen weniger Tage erreichte die Facebook-Gruppe „Luderitz not Naminus“ mehr als 1500 Likes, und die namibischen Zeitungen füllten sich mit empörten Leserbriefen. Pohamba hatte einen empfindlichen Nerv getroffen: Die schwarzen Bewohner von Lüderitz fühlen sich angegriffen. Kurioserweise nennen sie sich selbst – auch in ihren Stammessprachen – beharrlich „Buchter“. Und die meisten von ihnen denken offenbar nicht daran, das zu ändern. Sie rufen nun zu einem Protestmarsch durch den Ort auf und wollen eine Petition in die Landeshauptstadt Windhoek schicken.

Dass Ulf Grünewald, Nachfahre der einstigen Kolonialisten, sein „Lüderitz Nest Hotel“ nicht umbenennen will und auch sonst nichts hält von Naminüs, verwundert nicht. Aber Deutschstämmige wie ihn gibt es in der Stadt mit ihren rund 20.000 Einwohnern höchstens noch ein paar Dutzend. Die Aktionen gegen die Umbenennung gehen auf das Konto von schwarzen Buchtern, viele von ihnen nicht einmal 30 Jahre alt. Ihr energischer Protest wirkt für Europäer irritierend. Von Deutschtümelei kann man bei ihnen ja schlecht sprechen. Eine, die protestiert, ist Justine Hamupolo. „Ich bin enttäuscht und verstört, dass die Mächtigen uns das einfach aufzwingen wollen“, sagt die 23-jährige Buchterin, die in der Hauptstadt bei einer Aids-Initiative arbeitet.

Im abgeschiedenen Lüderitz haben die Menschen eine ganz eigene Identität entwickelt, anders ist das kaum zu erklären. Die Buchter trotzen seit jeher den Widrigkeiten von außen, wahrscheinlich schafft das umso größere Identifikation mit ihrer Heimat. Täglich kämpft ein Bagger auf der einzigen Teerstraße ins Landesinnere mit den Sanddünen, die der Wind immerfort auf die Straße weht. Sie führt geradewegs durch das sogenannte Sperrgebiet, in dem früher Diamanten abgebaut wurden. Davon profitierten damals freilich nur die Deutschen. Der südafrikanische Diamantenkonzern De Beers hat seine Aktivitäten in der Region schon lange verlagert. Als der Diamantenrausch endete, wurde der Nachbarort Kolmannskuppe zur Geisterstadt.

Auch Lüderitz wurde oft schon totgesagt, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Noch immer werfen sich rücklings Diamantentaucher in Neoprenanzügen von den Booten in das kalte Wasser der glitzernden Lüderitzbucht. Ihren Namen hat sie vom Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz, der das karge Land 1883 von einem Nama-Häuptling kaufte und diesen dabei kräftig über den Tisch zog. Auch darüber spricht man jetzt in dem Küstenort, aber die Meinung erscheint recht einhellig: Lüderitz soll Lüderitz bleiben. Als Präsident Pohamba vor ein paar Monaten erstmals äußerte, man müsse prüfen, ob der koloniale Name noch zeitgemäß sei, kommentierte die Zeitung „Namibian“ lakonisch, als Alternative könne dann wohl nur ein Name mit dem deutschen Wort „Bucht“ darin Anklang finden.

Lüderitz erscheint heute fast wie ein deutsches Freilichtmuseum, hätten sie hier nicht die Kaiser-Wilhelm-Bauten in Blau, Orange und Gelb gestrichen und führen nicht Toyota Pick-ups herum. Die Straßen ziehen sich steil über die Hänge zum Hafen hinab. Sie heißen noch heute Bismarckstraße und Bahnhofstraße. Während anderswo in Namibia nach der Unabhängigkeit solche Namen verschwanden, hielt der Stadtrat von Lüderitz bewusst daran fest – wegen des Tourismus. Diese Stadt liegt, so scherzte man gern in Namibia, einfach so weit ab vom Schuss, dass sogar der Präsident vergessen hat, hier eine Straße nach sich selbst zu benennen. Über der Bucht thront unerschrocken die Felsenkirche, ihr 100. Geburtstag wurde im vergangenen Jahr groß gefeiert.

Die Bewohner von Lüderitz wirken aber alles andere als deutsch. Im Straßenbild sind praktisch nur schwarze Afrikaner präsent. Längst sind sie es, die in den Kaiser-Wilhelm-Bauten wohnen und die Stadt am Laufen halten. Eine von ihnen ist Gertrud. Sie wacht über die öffentliche Bibliothek namens „Lesehalle“. Zwischen den Bücherregalen machen nachmittags schuluniformierte Mädchen mit Rasta-Zöpfen und bunten Haargummis von der Lüderitz Secondary School geschäftig ihre Hausaufgaben. Bis Gertrud um Punkt 17.30 Uhr die Tür verriegelt. In Lüderitz, wo die Polizei schon mal deutsche Touristen von der Straße jagt mit dem Hinweis, in Deutschland dürfe man ja wohl auch nicht einfach mal auf dem Linksabbieger anhalten und Fotos machen, werden die Geschäftszeiten streng eingehalten.

In der „Lesehalle“ steht Johannes, ein Bauarbeiter. „Lüderitz kann man nicht umbenennen“, befindet er. „Es hieß immer schon so.“ Vor Lüderitz war hier ja auch nichts. Die Erklärung, wonach Naminüs der ursprüngliche Name des Felsens sei, gilt als zweifelhaft. Johannes gehört zur Ethnie der Nama, darum kann er den Namen korrekt aussprechen. Viele andere Namibier können das nicht, auch der Präsident hatte Schwierigkeiten. Der Fremdenverkehr fürchtet Einbußen, der neue Name lasse sich nicht mal vernünftig googeln, heißt es. „Die Umbenennung ist touristisch Selbstmord“, beklagt ein Vertreter des Tourismusverbands.