Die Explosion eines mit Rohöl beladenen Güterzuges hat das Zentrum der kanadischen Kleinstadt Lac-Mégantic zerstört. Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf fünf gestiegen, weitere Opfer sind zu befürchten. Unglück geschah während Schichtwechsel.

Lac-Mégantic/Quebec/New York. Die Zahl der Toten nach dem verheerenden Zugunglück in Südostkanada ist auf fünf gestiegen. Die Polizei der Provinz Quebec bestätigte am Sonntag, dass nach dem ersten Opfer am Samstag zwei weitere getötete Menschen gefunden wurden. „Und wir müssen leider sagen, dass wir mit noch mehr Toten rechnen müssen“, sagte ein Polizeisprecher der dpa. „Das Unglück war verheerend und hat den Ort schwer getroffen. Wir müssen uns auf weitere schlechte Nachrichten gefasst machen.“

Bei dem Zugunglück in Kanada sind die Waggons mit Rohöl nach Medienberichten von allein ins Rollen gekommen. Der unbemannte Zug habe am Sonnabend auf einem Hügel gestanden und sei ohne Lok außer Kontrolle geraten, berichten die „The Vancouver Sun“ und die „Montreal Gazette“ unter Berufung auf die Bahnbetreiber.

Der Lokführer habe den Zug am Ende seiner Schicht abstellt und sowohl die Bremsen als auch die Ladung kontrolliert, bevor er in einem Hotel eincheckte. Auf unerklärliche Weise habe sich der Güterzug mit mehr als 70 Waggons dann aber von seiner Lok abgekoppelt und sei durch sein eigenes Gewicht ins Rollen geraten. Er raste in die Kleinstadt Lac-Mégantic und entgleiste. Wie viele Waggons danach genau explodierten, ist noch nicht bekannt.

Durch die Wucht der Detonation starben am Sonnabend (Ortszeit) drei Menschen, das folgende Großfeuer verwüstete große Teile der Kleinstadt. Die Polizei rechnet mit weiteren Todesopfern, denn „viele“ Menschen würden noch vermisst. Kanadische Medien schreiben von rund 60 Vermissten. Feuerwehrleute kämpften auch 24 Stunden nach dem Unglück gegen die weithin sichtbaren Flammen und Rauchsäulen an.

„Es war wie im Film“

Das Unglück geschah in den frühen Morgenstunden in der an einem See gelegenen Ortschaft, als viele Anwohner und Touristen in der lauen Sommernacht noch in Bars saßen oder auf den Straßen unterwegs waren.

„Es war wie im Film - doch es war alles echt“, sagte Bernard Theberge, der sich im Hof der beliebten Bar Mus-Café aufhielt, als sich die erste Explosion ereignete. „Die Leute fingen an zu rennen, das Feuer breitete sich sofort aus.“ Theberge sagte, er habe Glück gehabt, da er lediglich Verbrennungen zweiten Grades am Arm erlitten habe. Gerade in der Bar vermuten Behörden möglicherweise weitere Todesopfer.

„An einem schönen Sommerabend wie diesem waren noch viele Leute in den Bars unterwegs“, sagte der Restaurantbesitzer Bernard Demers, dessen Lokal sich in der Nähe des Unglücksortes befindet. Er selbst flüchtete aus seinem Haus: „Die Explosion war wie eine Atombombe. Es war sehr heiß...jeder hatte Angst. Es ist schrecklich für die Bevölkerung hier.“

Öl gelangt in See und Fluss

Mindestens drei der 73 Waggons explodierten, die Flammen zerstörten große Teile des Stadtzentrums. Mindestens 30 Häuser wurden vom Feuer beschädigt. Bis zu 2000 Bewohner mussten ihre Häuser verlassen, viele rannten in Panik nach den ersten Explosionen ins Freie. Ein Einsatzleiter der Feuerwehrmann sprach von einer „Kriegszone“, so sehr sei das Zentrum von Lac-Mégantic mit seinen 6000 Einwohnern zerstört worden.

Eine große Menge an Treibstoff floss nach Angaben eines Vertreters der Umweltbehörde von Québec in den See und den nahe gelegenen Fluss Chaudière. Umweltschützer befürchteten, dass das Unglück auch Folgen für die Umwelt im angrenzenden US-Bundesstaat Maine haben könnte.

Die Umweltbehörde stellte Messwagen auf, um die Qualität der Luft zu überprüfen. Feuerwehrleute mehrerer Nachbargemeinden und aus Maine waren im Einsatz. Der Unglückszug befand sich Berichten zufolge auf dem Weg nach Maine.

Betreiber kann sich Unglück nicht erklären

Der verunglückte Güterzug gehört zur Gesellschaft Montreal Maine & Atlantic Railways, die ihrer Website zufolge ein Streckennetz von mehr als 800 Kilometer in den US-Bundesstaaten Maine und Vermont sowie in verschiedenen kanadischen Provinzen besitzt, darunter auch in Québec, wo sich das Unglück ereignete.

Die Bahnbetreiber, die Muttergesellschaft Rail World mit Sitz in den USA und ihre Tochter Montreal, Maine and Atlantic Railway, können sich die Unfallursache bisher nicht erklären. Der Zug sei für einen Schichtwechsel auf einem Berg nahe Lac-Mégantic geparkt worden, zitieren Medien die Gesellschaften. Es gebe zahlreiche Sicherungssysteme für Bremsen und Kuppelungen.

Wie der Zug ins Rollen geraten konnte, war offenbar noch unklar. „Das kann nur passieren, wenn die Bremsen nicht richtig angezogen werden“, sagte Unternehmenspräsident Edward Burkhardt. „Aber wir glauben, dass die Bremsen an diesem Zug richtig angezogen waren.“ Er verwies zugleich auf die zurückliegenden zehn Jahre, in denen die Gesellschaft keinen Unfall verzeichnet habe. Das Unternehmen transportierte im vergangenen Jahr knapp drei Millionen Barrel Öl durch Maine, jeder Tankwagen enthält knapp 114.000 Liter Öl.