Roberto Saviano hat über die Mafia geschrieben. Sie verurteilte ihn zum Tode. Trotzdem schuf er ein neues Werk, in dem der 33-Jährige den weltweiten Kokainhandel verfolgt.

Berlin. Sein erstes Buch war sein Todesurteil. Nachdem Roberto Saviano in „Gomorrha“ Namen, Praktiken und Beziehungen der neapolitanischen Mafia beschrieb, schworen die Bosse blutige Rache. Der Tatsachenroman wurde zum Welterfolg, Saviano unter Polizeischutz gestellt. Fluglinien weigern sich, ihn zu befördern, Restaurants lassen vor seinem Besuch ihre Räume auf Bomben untersuchen. Ständig muss der Autor aus Süditalien sein Versteck wechseln, ohne Leibwächter darf er nicht auf die Straße. Jetzt, sieben Jahre nach dem Buch, erscheint Savianos nächstes Werk über die Mafia. In „Zero Zero Zero“ verfolgt der 33-Jährige den weltweiten Kokainhandel – die Haupteinnahmequelle des organisierten Verbrechens. Es ist seinen Beschützern gewidmet, den 38.000 gemeinsamen Stunden, „und denen, die noch zu verbringen sind. Wo auch immer.“

Hamburger Abendblatt: Die Mafia will Sie umbringen, Sie müssen alle paar Tage Ihr Versteck wechseln, können nie ohne Eskorte ausgehen. Wie konnten Sie für dieses Buch überhaupt recherchieren?
Roberto Saviano: Durch den ständigen Polizeischutz in den vergangenen Jahren habe ich viele Ermittler kennengelernt und Zugang zu Akten, Verhörprotokollen und Zeugen bekommen. So konnte ich die Dynamiken der Drogenkartelle studieren und sogar die Bosse selbst treffen. Es klingt paradox, aber je stärker ich abgeschirmt wurde, desto näher war ich am Geschehen dran.

Sie sind den Weg des Kokains nachgereist, von Gewinnung bis zum Gebrauch.
Saviano: Ich habe teilweise verdeckt ermittelt, war mit falscher Identität unterwegs. Aber ich habe nicht einen auf Johnny Depp in „Donnie Brasco“ gemacht. Ich will eine Welt zeigen, die jeder kennt, keine Exotik oder Folklore.

Sie schreiben, dass jeder Mensch mindestens eine Person kennt, die kokst. Was macht das Pulver so unwiderstehlich?
Saviano: Kokain wird nicht als Droge wahrgenommen. Es wird als eine Art Aperitif gesehen, als Mittel gegen Müdigkeit und Erschöpfung. Der Lkw-Fahrer nimmt es, um weiter zu fahren, der Koch, um schneller zu arbeiten, der Chirurg, um länger zu operieren. Wie eine Art Medizin. Dabei lässt Koks dein Herz explodieren, es macht impotent und neurotisch, aber das merken die Menschen nicht. Kokain ist eine Droge, die deinem Leben mehr Leben gibt – was du am Ende mit dem Tod bezahlst.

Haben Sie schon mal gekokst?
Saviano: Nein, aber nicht aus moralischen Gründen, eher aus chauvinistischen. In meinem Heimatort wurde es als unehrenhaft angesehen, Drogen zu nehmen. Jetzt bereue ich fast, dass ich es nie ausprobiert habe.

Wie kommt das Kokain in unsere Städte?
Saviano: Der Weg führt über Südamerika nach Afrika, von dort nach Europa. Die wichtigsten europäischen Häfen sind in Italien, Spanien, Holland und Deutschland. Die deutschen Häfen sind aus Sicht der Drogenkartelle die besten, denn dort wird am wenigstens kontrolliert. Rostock spielt eine wichtige Rolle. Deutschland unterschätzt das Problem dramatisch. Der Drogenhandel ist bei euch kein Thema, weder in den Medien noch im Wahlkampf. Dabei werden in Deutschland jeden Tag große Mengen umgeschlagen. Und eure Polizei hat nicht die juristische Handhabe, um dagegen vorzugehen. Die Mafia ist in Deutschland absurd sicher.

Sie schlagen vor, Kokain zu legalisieren.
Saviano: Das ist eine moralisch fragwürdige Idee, ich weiß. Aber wir sprechen hier von einem Markt, der mehr als 400 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr macht. Eine internationale Legalisierung gäbe den Staaten die Möglichkeit, die Droge zu bekämpfen. Außerdem nähmen wir der Mafia ihre wichtigste Geldquelle.

Stimmt es, dass im Kokain-Handel Geld nicht gezählt, sondern gewogen wird?
Saviano: Kein anderes Geschäft ist so lukrativ. Der Erfolg der Droge ist keine Erzählung von Banden, die sich gegenseitig bekriegen, es ist die Geschichte eines überlegenen Wirtschaftssystems. Die Gewinne sind gigantisch. Ein Beispiel: Wenn Sie Anfang 2012 1000 Euro in Apple investiert hätten, dann würden Sie heute 1600 haben. Aber wenn Sie 1000 Euro in Kokain investiert hätten, dann besäßen sie heute 182.000.

Würden Sie „Gomorrha“ noch einmal schreiben?
Saviano: Auf keinen Fall, das war es überhaupt nicht wert. Dieses Buch hat mein Leben zerstört. Es ist wichtig zu berichten, keine Angst zu zeigen, sich nicht zum Schweigen bringen zu lassen. Aber genauso wichtig ist es, seine Straße zum Glück zu verteidigen. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich die finden soll.

Auf Deutsch soll „Zero Zero Zero“ im Februar 2014 im Hanser-Verlag erscheinen