Neue Studie zu Cybermobbing: Jeder fünfte Jugendliche war schon Opfer, aber jeder fünfte auch schon Täter

Köln/Hamburg. Ein Riesenschock. Der 13-jährige Tom hat ein Sexvideo gepostet. Sein Facebook-Freund schreibt ihm entsetzt: „Spinnst du total? Was für ein ekliges Video.“ Aber: Tom hat in Wahrheit gar nichts gepostet, jemand will ihn reinlegen, fertigmachen. „Das war so megapeinlich“, erzählt er. „Jemand muss meinen Account geknackt haben. Und ich konnte das Video nicht löschen.“ In der Schule gab es hämische Kommentare. „Ich wusste nicht, was ich machen soll und hab mich ganz aus Facebook abgemeldet und eine Woche später mit neuem Passwort wieder angemeldet.“

Cybermobbing gehört zum Alltag vieler Kinder und Jugendlicher in Deutschland. „Mädchen werden gerne in die Schmuddelecke gestellt, als Schlampe diffamiert“, sagt die Psychologin Catarina Katzer, Mitautorin einer am Donnerstag präsentierten umfassenden Studie zum Thema Mobbing im Netz. „Jungen werden oft als ,Homosau‘ fertiggemacht. Man versucht, ihnen Pornos mit Männern anzuhängen“, schildert die Forscherin eines Kölner Instituts für Cyberpsychologie.

Etwa jeder fünfte Schüler hat in der repräsentativen Erhebung angegeben, schon einmal Opfer gewesen zu sein. Fast ebenso viele bekennen, dass sie bereits Täter waren. Katzer, die auch Mitbegründerin des Bündnisses gegen Cybermobbing ist, betont: „Das Cybermobbing kann viel schlimmer und dramatischer sein als Mobbing auf dem Schulhof im kleinen Kreis. Früher fühlten sich die Opfer zu Hause sicher. Aber heute gibt es keinen Schutzraum mehr. Die Cybermobber kommen ins Kinderzimmer.“ Der Terror laufe oft über einen langen Zeitraum. Sogar vermeintlich gelöschte, bloßstellende Fotos von Partys tauchen irgendwo anders plötzlich wieder auf – manchmal Jahre später. „Das macht die Opfer so hilflos und schutzlos. Sie fühlen sich blamiert, verlieren das Vertrauen, wollen die Schule wechseln, auch ihr Freundschaftsbegriff ändert sich mitunter.“

Der Hamburger Medienpädagoge Jöran Muuß-Merholz betont: „Der größte Unterschied zum Offlinemobbing ist, dass Cybermobbing rund um die Uhr stattfinden und der Täter seine Identität verbergen kann.“ Schikanen auf dem Schulweg seien örtlich und zeitlich begrenzt. Außerdem sehe man, mit wem man es zu tun hat. Cyberattacken hingegen können zu jeder Tages- und Nachtzeit stattfinden.

Neben Fotos und Videos als Mobbinginstrument kränkt und verletzt vor allem der Verrat von Geheimnissen sehr stark. „Viele berichten von Wut, Verzweiflung oder ähnlichen emotionalen Folgen und einige von ernsten psychischen Folgen – depressiven oder suizidalen Gedanken – oder psychosomatischen Problemen“, sagt die Psychologin Stephanie Pieschl von der Uni Münster. Drastische Einzelfälle, wenn sich völlig verzweifelte Jungen und Mädchen nach anhaltenden Attacken das Leben nahmen, haben in vielen Ländern aufgeschreckt. So hat sich erst im vergangenen Monat eine 17-Jährige im kanadischen Halifax umgebracht, nachdem eine Vergewaltigung, deren Opfer sie zwei Jahre zuvor geworden war, im Internet diskutiert wurde. Ende 2012 sprangen zwei zehn und elf Jahre alte Mädchen im bayerischen Kümmersbruck vor den Augen ihrer Mitschüler von einer Brüstung in die Tiefe und verletzen sich schwer. Mobbing durch gleichaltrige Schüler war die Ursache.

Die jugendlichen Opfer allein können es nicht schaffen, betont Psychologin Katzer. „Die Kids sind heute in Sachen Internet zwar im Handling sehr fit, aber ihnen fehlt die Lebenserfahrung.“ Dass sich im Internet auch Mobber, Störenfriede, Sexualtäter und Menschen mit kriminellen Absichten tummeln, sei dem Nachwuchs oft nicht bewusst. Gerade auf Jungen und Mädchen in der Pubertät übten soziale Netzwerke auch deshalb große Anziehungskraft aus, weil sie sich dort selbst darstellen könnten. Viele geben daher Privates aller Art preis – und teilen obendrein ihre Passwörter mit anderen.

In der Praxis zeige sich, dass Freunde und Eltern wichtige Stützen für die Opfer sein können. „Ein erfolgreicher Ansatz sind die jugendlichen Mobbingberater, also ältere Schüler, die Jüngeren zum Beispiel erklären, was passieren kann, wenn man ein Bikini-Foto postet.“ Zu tun gibt es noch viel, betont die Expertin: „Das Thema wird uns alle noch richtig lange beschäftigen und fordern.“